Bernhard Kathan, Wir sehen Tiere an

Wenn Tiere mehr als eine Sache aber weniger als ein Mensch sind, muss folglich auch unser Blick auf sie heftiger als auf Sachen aber weniger intensiv als auf Menschen ausfallen.

Bernhard Kathan vergleicht in seinem Essay diverse Ereignisse in Literatur, Forschung und Psychologie, die zu einem Aufeinandertreffen von Menschenblicken auf Tiere handeln. Während in der Erforschung des Faschismus der berühmte Denkansatz lautet „Tiere sehen dich an“, nimmt Bernhard Kathan den an und für sich neutralen Vorgang der Tierbeobachtung, um daran aufzuzeigen, welchen scheinbaren Menschenbildern wir dabei nachgehen.

Viele sogenannte Fortschritte in der Humanmedizin haben beispielsweise dazu geführt, dass in manchen Situationen die Tiere wie Menschen behandelt werden. So geht eine Mehrheit stillschweigend davon aus, dass Tiere das gleiche Schmerzempfinden wie Menschen haben, weshalb dann wohl die Humanmedizin bei der Schlachtung von Tieren zur Anwendung gebracht werden sollte.

Auch der Bewegungsdrang der Gesellschaft, die sich am liebsten in Fitness-Studios aufhält, führt dazu, dass Tiere ständig in einem Laufstall in Bewegung gehalten werden.

Diese falsche Humanisierung führt bei militanten Tierschützern dann oft zu seltsamen Handlungen, wenn etwa Bienenstöcke angekauft werden, um sie in Freiheit zu entlassen, was im Gebirge den sicheren Tod des Bienenvolkes bedeutet.

Im Essay kommen die abstrusesten Sichtweisen zum Vorschein, die allesamt an die jeweilige Gesellschaftslage gekoppelt sind. Während heutzutage das Schlachtvieh geschichtslos gemacht und maschinell zerlegt und verpackt wird, dient es im Hochbürgertum als Schaumaterial für nachgeahmte höfische Etikette.

Das Zerlegen von ganzen Tieren an der Tafel soll auf einen höheren gesellschaftlichen Zusammenhang hinweisen, in dem jeder Körperteil seine Funktion hat und dementsprechend ausgebeindelt werden muss.

Der Hochstand moderner Tage ist nichts anderes als ein umgedrehter Fernseher, aus dem heraus der Jäger seine tödlichen Filme abspielt.

Ferkel am klassischen Bergbauernhof schreien bei der Kastration nicht wegen des vermuteten Schmerzes sondern wegen der sozialen Trennung von der Mutter.
Diesen kleinen Notizen im Essay werden Beobachtungen aus der Literatur gegenübergestellt. Robert Musil etwa lässt seinen brünftigen Helden in der Novelle Grigia auf eine Magd stoßen, die mehr Tier ist als Mensch.

In Dostojewskis Totenhaus gilt ein Kapitel den Tieren, die die wahren Erniedrigungen widerspiegeln. Alle Tier-Bilder sind komplex und erzählen auf der Meta-Ebene die Geschichte von uns Menschen, während wir die Tiere ansehen.

Nicht alle Tierschützer haben diesen Metablick, manche sind nach einfachen Schwarz-Weiß-Mustern gestrickt.

Radikale Tierschützer setzen ihre Werte absolut. Sie haben keinen Sinn für Historizität und somit Relativität ihrer Behauptungen. (165)

Und auch die veganen und vegetarischen Strategien sind ziemlich korrumpiert, jedes Erdölloch nämlich tötet mehr Tiere als in einem Laufstall Platz haben.

Bernhard Kathan, Wir sehen Tiere an. Grundkurs für Tierschützer und solche, die es werden wollen. Essay.
Innsbruck: Limbus 2014. 179 Seiten. EUR 13,-. ISBN 978-3-99039-026-9.

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Bernhard Kathan, Wir sehen Tiere an
Bernhard Kathan

 

Helmuth Schönauer, 26-09-2014

Bibliographie

AutorIn

Bernhard Kathan

Buchtitel

Wir sehen Tiere an. Grundkurs für Tierschützer und solche, die es werden wollen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

179

Preis in EUR

13,00

ISBN

978-3-99039-026-9

Kurzbiographie AutorIn

Bernhard Kathan, geb. 1953 in Fraxern, lebt in Innsbruck.