Beppo Beyerl, 26 Verschwindungen

Da sucht man als Leser jahrelang einen Begriff für jene Dinge, die noch fragmentarisch in der Erinnerung da sind, aber im öffentlichen Leben schon verschwunden sind, und da kommt glücklicherweise Beppo Beyerl daher und hat ihn: Verschwindung.

Verschwindung ist eine Sache, die sich allmählich in der Anwendung, dann in Erzählungen und schließlich aus der Sprache hinausschleicht. Beppo Beyerl, der Experte für verloren gegangene Kulturen stellt ganz alphabetisch 26 Ereignisse vor von Arbeiter Zeitung bis Ziegelbehm.

In den Erzählungen und Recherchen wird dem Verlorenen keineswegs nur melancholisch nachgetrauert, oft ergibt sich aus der Darstellung geradezu der höhere Sinn, warum etwas einmal notwendig gewesen und dann offshore gegangen ist.

Die Arbeiterzeitung hat einen fulminanten Start und ein Ende mit Grandezza hingelegt, dazwischen gibt es freilich auch Auftritte und Diskurse, die zum Erbarmen sind.

Die Bahnhofsresti muss logischerweise verschwinden, wenn sich das Konsumieren von Zeit verändert. Sogenannte Ferrosexuelle freilich trauern zu Recht jener Zeit nach, als die Eisenbahn noch mit Luft, Umgebung, Strecke und Geruch zu tun gehabt hat. Heute reist man in einer Vakuumröhre, da hat die Bahnhofsreste keinen Platz mehr.

Manches, was schon weg gewesen ist, schafft es durch die Hintertür von Retro wieder ins Liebhaberherz zurückzufinden wie das Vinyl. Und auch die Öffentliche Uhr, die so genannte Wiener Schauer-Uhr, hat es zumindest ins Museum geschafft und bleibt unsterblich.

Ein wahrer Leckerbissen an Verschwindung ist die Xerokopie, die nicht nur elegant den Buchstaben X ausfüllt sondern als Kopierflut sachte von der Cloud abgelöst worden ist als Ort des sichtbaren Vergessens.

Indianer mit Schlag, Kursbuch im Ausmaß eines Fernsehers, die Wiener Stadtbahnbezeichnungen WG und DG sowie die Markierung in den Straßenbahnen, die den Ermäßigungsfahrschein an die Körpergröße verknüpften, diesen Dingen trauert man nicht wirklich nach, wohl aber den Titeln, die das Wesen Österreichs ausmachen. Ein Österreich ohne Titel wird immer blass und untergewichtig sein.

Wie schnell etwas verschwinden kann, zeigt die Gendarmerie. Während ihr Ober-Verschmelzer jetzt im Gefängnis sitzt, kennen die Jugendlichen die Gendarmerie nur noch aus Filmen mit Luis de Funès.

Die ideale Verschwindung ist vielleicht Helmut Qualtinger gelungen, zwar ist er physisch abgetreten, seit seinem Auftritt als dichtender Inuit am Wiener Westbahnhof aber unsterblich, dieser Sketch wird vermutlich auch das Abschmelzen der Polkappen überleben.

Beppo Beyerls 26 Verschwindungen lassen noch einmal Dinge Revue passieren, die in absehbarer Zeit restlos ausgestorben sein werden. Bemerkenswert ist freilich die Methode der Geschichtserfassung, wie sich mit Kleinodien große Geschichte erzählen lässt.

Beppo Beyerl, 26 Verschwindungen. Von Arbeiter-Zeitung bis Ziegelbehm.
Wien: Löcker 2014. 190 Seiten. EUR 19,80. ISBN 978-3-85409-729-7.

 

Weiterführende Links:
Löcker Verlag: Beppo Beyerl, 26 Verschwindungen
Wikipedia: Beppo Beyerl

 

Helmuth Schönauer, 10-11-2014

Bibliographie

AutorIn

Beppo Beyerl

Buchtitel

26 Verschwindungen. Von Arbeiter-Zeitung bis Ziegelbehm

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Löcker Verlag

Seitenzahl

190

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-3-85409-729-7

Kurzbiographie AutorIn

Beppo Beyerl, geb. 1955 in Wien, lebt in Wien und Vitis.