Heiner Flassbeck, 66 starke Thesen zum Euro …

„Man muss es immer wieder sagen: Der Schlüssel zur Lösung der Eurokrise liegt in der Hand Deutschlands und nicht in den Händen der kleinen Länder, die verzweifelt versuchen die Auflagen der Troika zu halten, und doch niemals erfolgreich sein können.“ (55)

Der deutsche Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Staatssekretär Heiner Flassbeck setzt sich in 66 Beiträgen kritisch mit aktuellen wirtschaftspolitischen Fragen auseinander und zeigt eindrucksvoll auf, dass neoliberale Wirtschaftstheorien eine der Hauptursachen dafür sind, dass keine Lösung der europäischen Wirtschaftskrise in Sicht zu sein scheint.

Im Mittelpunkt seines wirtschaftspolitischen Ansatzes steht die kritische Ablehnung, dass staatliche Sparprogramme, wie sie in Deutschland praktiziert und wie sie von Deutschland für andere Länder gefordert werden, den Weg aus der Wirtschaftskrise weisen. Vor allem die Senkung von Löhnen und sozialen Standards tragen maßgeblich dazu bei, den Binnenkonsum in einem Land zu reduzieren und damit die Binnenwirtschaft zu schwächen.

Ein weiterer zentraler Punkt seiner Auseinandersetzung mit der Eurokrise, geht der Frage nach, wo die Ursachen für den wirtschaftlichen Niedergang zahlreicher, vor allem südeuropäischer Länder zu suchen sind. Flassbeck definiert als Grundlage für eine gemeinsame Währung, die Einhaltung eines gemeinsamen Inflationsziel, das zu Beginn des Euros mit 1,9 % Inflation festgelegt worden war. Während sich Frankreich ziemlich genau an die Zielvorgaben gehalten hat, lag Deutschland weit darunter, während die südlichen Länder darüber lagen. Eine Folge dieser Entwicklung war, dass die Wettbewerbsfähigkeit der meisten Länder gegenüber Deutschland gesunken ist.

Die Daten belegen, dass Deutschland der Sünder Nummer eins in Sachen Eurokrise ist. Und sie belegen, was das vollkommen ungelöste Problem der EWU ist, nämlich dass man ohne Deflation und Depression aus der verfahrenen Lage nur herauskommen kann, wenn in Deutschland die Löhne von nun an über lange Zeit sehr viel stärker steigen als in den vergangenen zehn Jahren. (51)

Um die Zielinflationsrate zu erreichen, ist es notwendig, dass in allen Ländern das Niveau der Löhne dem Niveau der eigenen Produktivität entspricht. In schwächeren Volkswirtschaften liegen daher die Löhne niedriger als in stärkeren Volkswirtschaften. Durch zu niedere Löhne konnte sich Deutschland in den letzten Jahren einen Preisvorteil gegenüber anderen Ländern verschaffen, deren Schulden dadurch stetig gewachsen sind, während Deutschland einen Handelsüberschuss verzeichnen konnte.

Flassbeck setzt sich detailreich und mit viel Akribie mit den großen wirtschaftlichen und politischen Fragen und Krisen unserer Zeit auseinander und bietet dazu nicht nur klare und verständliche Analysen, sondern auch nachvollziehbare Lösungsvorschläge und Antworten.

Folgende großen Themenbereichen werden in verschiedenen Aufsätzen behandelt:

  • „Die große Frage unserer Zeit: Hat der globale Kapitalismus einen Wendenpunkt erreicht?“
  • „Die Eurokrise – ist eine Krise des Denkens und des Redens“
  • „Das deutsche Wesen – ist das falsche Modell“
  • „Arbeit ist kein Produkt – und der Arbeitsmarkt ist kein Markt“
  • „Klimawandel ist Strukturwandel – aber die Politik hat Angst vor der eigenen Courage“
  • „Rohstoffe dürfen nicht zum Spielball der Spekulation werden“
  • „Die ökonomische Theorie versagt – weil Gläubige nicht lernen wollen“
  • „Nicht anders als vor einhundert Jahren ist die Unfähigkeit zum Dialog das prägende Zeichen unserer Zeit“

Heiner Flassbecks „66 Thesen“ sind eine wichtige Schrift in einer Zeit, in der schnell mit erhobenem Zeigefinger schuldige ausgemacht und ganze Länder an den Pranger gestellt werden. Das Buch zeigt auf, welche großen Gefahren von falschen Theorien und Ideologien derzeit für die europäische Wirtschaft, Integration und Solidarität ausgehen. Es warnt davor, dass die zunehmende Konzentration auf die Interessen der Einzelstaaten in Europa zu unvorhersehbaren Konflikten führen, „die die Welt sehr nahe an militärische Auseinandersetzungen heranführen.“ (220)

Die kritischen Analysen und Theorien eröffnen die großen Zusammenhänge der Wirtschaftspolitik der Gegenwart und lässt Fragen zu den gegenwärtigen Krisen aus einem neuen Blickwinkel, abseits gängiger Schuldzuweisungen und Moralisierung in den Medien, betrachten. Das überaus lesenswerte und auch für Nicht-Ökonomen verständlich geschriebene Sachbuch, kann allen Leserinnen und Lesern, die sich für die Hintergründe und Ursachen der großen Wirtschaftskrisen der Gegenwart interessieren, unbedingt weiter empfohlen werden.

Heiner Flassbeck, 66 starke Thesen zum Euro, zur Wirtschaftspolitik und zum deutschen Wesen. Sachbuch
Frankfurt a. Main: Westend Verlag 2014, 224 Seiten, 15,50 €, ISBN 978-3-86489-055-0

 

Weiterführende Links:
Westend Verlag: Heiner Flassbeck, 66 starke Thesen zum Euro, zur Wirtschaftspolitik und zum deutschen Wesen
Wikipedia: Heiner Flassbeck
Makroskop

 

Andreas Markt-Huter, 13-07-2015

Bibliographie

AutorIn

Heiner Flassbeck

Buchtitel

66 starke Thesen zum Euro, zur Wirtschaftspolitik und zum deutschen Wesen

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Westend Verlag

Seitenzahl

224

Preis in EUR

15,50

ISBN

978-3-86489-055-0

Kurzbiographie AutorIn

Heiner Flassbeck war Direktor bei der UNO in Genf und ist Professor für Ökonomie an der Universität Hamburg. 2012 ist sein Blog flassbeck-economics.de mit täglichen Analysen und Kommentaren zu Wirtschaft und Politik online gegangen.