Dietmar Dath, Feldeváye

Als das dickste Genre der Literatur gilt allenthalben die SF-Literatur. Insider führen diese gewaltigen Romane darauf zurück, dass in der SF nichts selbstverständlich oder irdisch ist und von der Schwerkraft angefangen alles neu erfunden und beschrieben werden muss.

Dietmar Dath verwendet in seinem Roman „Feldeváye“ (ausgesprochen: Feldeweihe) die Sciencefiction dafür, den ganzen Krimskrams der üblichen Fiktion auszublenden, um sich voll und ganz seinem beinahe entmaterialisierten Essay über die Kunst widmen zu können.

In Feldeváye treten Thesen und Lebenserfindungen auf einem hohen Level auf und entwickeln sich als Evolutionsgeschichte der Kunst, wie es sonst vielleicht Bakterien und Viren getan haben.

Die einzelnen Kapitel sind wie Fakultäten angelegt, worin hunderte Thesen, Analysen und Prognosen aufgefädelt sind. Dabei wird meist auf vier SF-Ebenen agiert: die große Weltgeschichte als Teil einer Galaxie, das Überleben auf einem zu einem Experiment ausgebauten kleinen Trabanten, nämlich Feldeváye, die gedehnte Biographie der Kathrin Ristau, die als neugierige Frau für uns Leser die entscheidenden Fragen an die Systeme stellt, und schließlich eine Art Zusammenfassung im Liber Severini, worin im Gestus einer Heiligen Schrift die Geschehnisse ins Zeitlose verdichtet werden.

Der Schmerz ist in der Hand, nicht im Handschuh. - Niemandsland besiedelt man am schnellsten. - Wie übersetzt man, was keine Sprache ist?

Anhand solcher Fragestellungen werden im Sinne von Kulturepochen Möglichkeiten der Evolution abgehandelt, es geht also um Alternativen zu Entwicklungen, wie wir sie historisch auf unserem Globus aufgezeichnet haben.

Was könnte sich statt des Minnesangs entwickeln, was wäre gewonnen, wenn man sich nicht im Kolonialismus zerfranst, wie schaut eine Sprache aus, die keine Schranken kennt?

Während in der Galaxis alle diese Probleme in technisch-digitaler Weise gelöst sind, gilt Feldeváye als Labor und Vitrine, worin die Letzten Künste gelagert, konserviert und weiterentwickelt werden. Um diese Künste zu begreifen, braucht es neue Empfindungstechniken, wenn nicht gar einen neuen Menschen.

Kathrin Ristau übernimmt als Gefühls-Pionierin den aufwändigen Part, über die Kunst die menschlichen Emotionen, Liebe und Tod, Zeit und Vergänglichkeit zu erfahren. In dieser Kunsterfahrung ist man immer allein, man kann nichts mitnehmen, wenn man sich in dieses Reich begibt. So entwickelt die Heldin eine eigene Sprache, die sich natürlich nur so weit von der allgemeinen Sprache entfernen darf, dass sie gerade noch verstanden wird.

Das ist gleichzeitig die Grenze dieses gigantischen Romanimperiums. Wie kann etwas erzählt werden, was noch niemand auch nur annähernd geschaut hat? Es sind nur Allegorien, (65) heißt es, wodurch jeder das sehen kann, wozu er imstande ist.

Dietmar Dath knüpft mit seinem SF-Projekt an große Essay-Kunst an, er versetzt den Musilschen Möglichkeitssinn in neue Rotation und schließt an das Wissenschaftstheater Djerassis an, um auf dem Erzähltrabanten Feldeváye letztlich eine optimistische Welt zu erschaffen.

Dietmar Dath, Feldeváye. Roman der letzten Künste.
Berlin: Suhrkamp 2014. (= st 4510). 807 Seiten. EUR 20,-. ISBN 978-3-518-46510-3.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Dietmar Dath, Feldeváye
Wikipedia: Dietmar Dath

 

Helmuth Schönauer, 02-01-2015

Bibliographie

AutorIn

Dietmar Dath

Buchtitel

Feldeváye. Roman der letzten Künste

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Suhrkamp Verlag

Reihe

st 4510

Seitenzahl

807

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-518-46510-3

Kurzbiographie AutorIn

Dietmar Dath, geb. 1970 in Reinfelden, lebt in Freiburg und Berlin.