Peter May, Beim Leben deines Bruders

Entlegene Inseln müssen einen besonders ausgeprägten Heimat-Magnetismus haben, sonst würden ihre wenigen Bewohner sofort ins Meer oder in die Welt hinaus gespült werden.

Peter May zeigt anhand eines Mordfalles auf der Hebriden-Insel Lewis, wie diese harte Gegend ihre Krallen in das Fleisch der Bewohner knallt und nicht mehr los lässt. Der ehemalige Lewis-ianer Fin muss sein Leben umkrempeln, er tritt aus der Polizei in Edinburgh aus, lässt sich aus einer irreparablen Ehe scheiden, als sein Kind tödlich überfahren wird, und sucht seine Wurzeln auf der Insel auf, um vielleicht wieder Halt zu gewinnen.

Im Moor wird punktgenau zu seiner Ankunft eine Leiche gefunden, anhand eines Elvis-Tattoos kann der Tote bald den Fünfziger Jahren zugeordnet werden. Freilich dürfte er keines natürlichen Todes gestorben sein. Ehe aber gemächlich die echte Polizei vom Festland mit den Ermittlungen beginnt, hat Fin ein paar Tage Zeit, die Geheimnisse rund um die Moorleiche zu lüften.

Wo immer Fin hintritt, er trifft auf Familienreste oder Teile von aufgelassenen Beziehungen. Seine Jugendfreundin hat dann doch einen anderen geheiratet, freilich ist ihr Sohn von ihm und ist jetzt hoffnungslos selbst Vater geworden, er träumt von der Uni am Festland als Ausweg.

Der Vater von Fins Jugendliebe hingegen ist schwer dement, aber höchst rätselhaft, wenn er in hellen Momenten seine Geschichte erzählt. Das ist überhaupt ein grandioser Schachzug des Erzählens, dass der Held dement ist, seine Umgebung ihn nicht versteht, er aber in einem dementen inneren Monolog die wahre Geschichte für den Leser erzählt.

Allmählich sind alle Figuren vorhanden, die es zum Ablauf einer abgeschirmten Tragödie auf einer Insel braucht. Die Moorleiche und der demente Sonderling sind Brüder, worauf auch der deutsche Titel anspielt. Einst sind sie als Waisenkinder auf die Insel gebracht worden, was beinahe einem Todesurteil gleichkommt. Denn wer nicht von der Insel ist, kann hier nicht Fuß fassen.

Der ruhig gestellte Ex-Polizist Fin kann in Ruhe den Fall zu Ende bringen, dabei zerreißt es ihm freilich das Herz, denn alles auf Lewis wird in den Umrissen eines Schattenspiels in Schwarz-weiß abgehandelt.

Peter May erzählt einen Psychothriller um abgehärmte Figuren, die weder durch Bleiben noch durch Flucht ihrem Schicksal entgehen können. Die Szenerien beginnen jeweils verregnet wie aus einem Trekking-Prospekt, aber bevor der Regenbogen auftauchen kann, sind die Protagonisten schon wieder geschlagen.

In einer mitlaufenden Sozialgeschichte wird auch das wirtschaftliche Desaster der Hebriden angesprochen. Seit ewigen Zeiten kommen Investoren und Eroberer, errichten etwas und verschwinden, noch ehe die Bevölkerung begriffen hat, wie ihr geschieht. Eine auf mehreren Ebenen aufwühlende Moor-Geschichte, worin der Morast der Jahrhunderte für einen Augenblick an die Luft der Gegenwart gekratzt wird.

Peter May, Beim Leben deines Bruders. Roman. A. d. Engl von Silvia Morawetz. [Orig.: The Lewis Man, 2011].
Wien: Zsolnay 2014, 333 Seiten, EUR 18,40, ISBN 978-3-552-05671-8

 

Weiterführende Links:
Zsolnay Verlag: Peter May, Beim Leben deines Bruders
Wikipedia: Peter May

 

Helmuth Schönauer, 02-01-2015

Bibliographie

AutorIn

Peter May

Buchtitel

Beim Leben deines Bruders

Originaltitel

The Lewis Man

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Zsolnay Verlag

Übersetzung

Silvia Morawetz

Seitenzahl

333

Preis in EUR

18,40

ISBN

978-3-552-05671-8

Kurzbiographie AutorIn

Peter May, geb. 1951 in Glasgow, lebt in Frankreich und Schottland.