Helwig Brunner, Denkmal für Schnee

Was für ein schöner Widerspruch! Das für Jahrhunderte gedachte Denkmal trifft auf den filigranen Schnee, der immer zur falschen Zeit kommt.

Helwig Brunner ritzt in seinen Gedichten die Welt auf einer Widerspruchsskala auf, was eindeutig beginnt, endet in einem Fluxus an Sinn, was zufällig durch die Jahreszeit stäubt, endet als Schwall von Atmosphäre, selbst die lyrische Antimaterie kann durch geschickte Versuchsanordnung dazu gebracht werden, in einem Gedicht auszukristallisieren.

Hier // ist kein Schauplatz, kein Drehort, / nichts, was angekündigt, nichts, /wovon berichtet werden wird. / Hier liegen die Steine am Hang, / bevor sie zu Sand zerfallen, / und der Himmel darüber / zieht stündlich neue Farben auf. (6)

Die Strategien, nach denen die Gedichte komponiert sind, zeigen am ehesten die Kapitel-Beschriftungen: Einfache Gedichte, Grauzone Wirklichkeit, Maulschellen läuten, Fahrlässige Fragmente. Dabei wird ein flüchtiges Bild der Geliebten zu einem Denkmal für Schnee, der sich in dieser Saison nicht fassen lässt, ein Sehfehler erschließt den wahren Informationsgehalt eines Bildes, der bloß in den Hintergrund gerutscht ist, an anderer Stelle drängt sich ein Autofokus in den Vordergrund und verstellt dadurch erst recht die Sicht.

Montageanleitung für Kleinteile, zum Trocknen aufgespannte Gedichte oder eine zärtliche Axt, die aus der Rodung wichtige Teile ausspart – den Gedichten ist immer auch eine Methode der Entschlüsselung beigefügt, wenn auch oft irritierend wie eine Gebrauchsanweisung, die von jeder Semantik losgelöst ist.

Selbst die obligaten Vögel, die in jeder Gedichtsammlung nisten, sind in dieser Sammlung abgearbeitet auf einem Feld des Alltags, dem man diese Funktion nie zugetraut hätte.

Tägliche Krähen // Wir sind keine Märchenvögel, / denke ich beinahe schon im Schlaf, / aber ja, das ist ein schöner Satz, / jetzt bin ich ganz wach, stehe auf / und nehme, zum letzten Mal an diesem Tag, / das federgraue Notizbuch vom Tisch, / um zu notieren: keine Märchenvögel, / bloß täglich Krähen. (24)

Im Abspann voller Fragmente sind die Gedanken frisch geschnitten vorne und hinten, setzen jäh ein und versickern krustenlos in der Erinnerung. „ - die Dartscheibe am Türstock und / die Stahlspitze des verworfenen Pfeils / im Auge der eintretenden Freundin - // Fragment zu Georg Petz“ (62), plötzlicher und jäher lässt sich kein lyrischer Splitter abwehren.

Helwig Brunners Denkmal für Schnee ist voller Überraschungen, seltsamer Konsistenzen und frechem Aussäen von poetischen Krumen, die schon austreiben, noch ehe sie den Boden berühren.

Helwig Brunner, Denkmal für Schnee. Gedichte.
Horn: Berger Verlag 2015, (= Neue Lyrik aus Österreich. Band 10), 64 Seiten, EUR 16,50, ISBN 978-3-85028-685-5

 

Weiterführende Links:
Berger Verlag: Helwig Brunner, Denkmal für Schnee
Wikipedia: Helwig Brunner

 

Helmuth Schönauer, 03-04-2015

Bibliographie

AutorIn

Helwig Brunner

Buchtitel

Denkmal für Schnee

Erscheinungsort

Horn

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Berger Verlag

Reihe

Neue Lyrik aus Österreich. Band 10

Seitenzahl

64

Preis in EUR

16,50

ISBN

978-3-85028-685-5

Kurzbiographie AutorIn

Helwig Brunner, geb. 1967, lebt in Graz.

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