Engelbert Obernosterer, Der Kampf mit dem Engel

Die späten Jahre verbringt ein denkender Mensch vielleicht am besten damit, dass er sein Leben immer wieder aufs Neue erzählt. So wird der sogenannte Lebenslauf jedes Jahr anders, wie auch ein Feld je nach Fruchtfolge ständig etwas anderes aus sich wachsen lässt.

Engelbert Obernosterer beginnt seinen „Kampf mit dem Engel“ mit dem aufregend routinierten Anwerfen eines Tages. Gerade in einer entlegenen Gegend wie dem Gailtal ist scheinbar jeden Tag nichts los, aber noch ehe der Kaffee durch den Filter geronnen ist, springt einen schon das Leben mit mannigfaltigen Eindrücken an. Wo nichts Digitales an Empfindungen vorgeschaltet ist, ist das Leben nämlich sinnlich, haptisch und voller Gerüche.

Der Ich-Erzähler springt seit einer Herzgeschichte hoch motiviert auf das Zimmerfahrrad und bringt so den Tag auf Touren. In Erinnerungsschleifen baut sich dann die ganze Karriere auf, die das Subjekt durchlitten hat. Als der elterliche Hof einst von den Naturgewalten vernichtet wird, formuliert der Vater den einzigen hochdeutschen Satz seines Lebens.

Als nahe Verwandte von einer Lawine verschüttet werden, steht der Erzähler in Wien auf einem Floridsdorfer Balkon und übernimmt wortlos die Nachricht, während sich ihm die Statik des Balkons für immer einbrennt. Als während der Reha diverse alte Körper zusammenbrechen, bäumt sich der Körper des Erinnernden auf und entsteigt der Altersverstopfung.

Die wesentlichen Sequenzen sind bei Engelbert Obernosterer immer mit einem unverwechselbaren Ort verbunden, der umso eindringlicher ist, je entlegener er zu sein scheint. Gerade am Rand der Zivilisation spielt sich das Leben am intensivsten ab, wiewohl der Autor durchaus beklagt, dass die sogenannten modernen Zeiten inzwischen auch das Gailtal aufgefressen haben.

Dreimal fährt der Viehtransporter vor, und leer ist der Stall. (53)
Eine Monokultur aus Artigkeiten und erlesenen Manieren überzieht immer mehr die vormals unwirsche Gegend. (59)

Die Verwindungen im Bildungssystem, die stumpfen Karrieren im Schulbetrieb, die Blähungen im Priesterseminar, die ernüchternden Karrieren am Lande – mit großer Milde werden die Schicksale oft auf ein Bild gebracht. So wie an einem düsteren Tag das ölverschmierte Gesicht eines Lokführers auf der Nebenbahn aus dem Führerstand glotzt und nur mehr in Umrissen einem ehemaligen Schüler gleicht, der einst vergeblich in die Welt hinaus gezogen ist um diese aus den Angeln zu heben.

In einer schweren Nachtsitzung ringt das Ich mit seinen Fesseln wie einst der biblische Engel, der Kampf dauert bis ins Morgengrauen.
Mit einzelnen Mosaik-Sätzen, die auf dem Weg zur Geschichte liegen geblieben sind, endet dieser seltsam geradlinige Weg durch die Schlieren und Schlingen eines künstlerisch wachen Lebens.

Ich war immer schon dort, wo kein Gruß vorbeikommt. (125)

Engelbert Obernosterer, Der Kampf mit dem Engel. Ein Mosaik
Klagenfurt: Kitab 2015, 134 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-902878-47-2

 

Weiterführende Links:
Kitab Verlag: Engelbert Obernosterer, Der Kampf mit dem Engel
Wikipedia: Engelbert Obernosterer

 

Helmuth Schönauer, 16-11-2015

Bibliographie

AutorIn

Engelbert Obernosterer

Buchtitel

Der Kampf mit dem Engel. Ein Mosaik

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Kitab Verlag

Seitenzahl

134

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-902878-47-2

Kurzbiographie AutorIn

Engelbert Obernosterer, geb. 1936 in St. Lorenzen, lebt in St. Lorenzen.