Josiah Ober, Das antike Griechenland

„Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte galten Demokratie und Wachstum allerdings nicht als normal; sie waren nicht einmal vorstellbar. Lediglich im ersten Jahrtausend v. Chr. gab es im antiken Griechenland einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten, in denen Demokratie und Wachstum für die Bürger im klassischen Griechenland tatsächlich normal waren. Wie es dazu kam und warum das Wissen um diesen Umstand wichtig ist, führe ich in dem vorliegenden Buch aus.“ (9)

Wie war es möglich, dass sich in der Geschichtsepoche, die heute das als das „klassische Griechenland“ bezeichnet wird, jene politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen entwickeln konnten, die eine bis dahin ungekannte kulturelle Blüte hervorgebracht hat. Josiah Ober geht in seiner Darstellung neue Wege und zieht die Erkenntnisse der Soziologie ebenso zu Rate wie aus dem Gebiet der Biologie, indem er die Zusammenarbeit zwischen Menschen ähnlich analysiert wie z.B. jene zwischen staatenbildenden Insekten, wie etwa Ameisen.

Im Mittelpunkt des Buches steht die zentrale Frage, was dem Erfolg im klassischen Griechenland zu Grunde lag und was sich daraus für unsere Gegenwart ableiten lässt. Erfolg definiert Ober mithilfe eines Kennwertes aus dem Gebiet der Sozialökonomie, der den geschätzten pro Kopf Verbrauch als Vielfaches des Existenzminimums angibt. Im Griechenland der klassischen Zeit bewegte sich dieser Wert zwischen dem 5 – 9-fachen Wert des Existenzminimums, ein Wert der um 1900 noch bei ca. 4,7 lag und erst im 20. Jahrhundert übertroffen werden konnte.

Der Aufstieg und Niedergang des klassischen Griechenland wird aus dem Blickwinkel des Historikers und Politologen, der sowohl historisch als auch sozialwissenschaftlich ausgerichtet ist, analysiert. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht vor allem die typisch griechische Form des politischen Zusammenlebens: der Stadtstaat, die Polis. Ausgehend vom gemeinsamen kulturellen Verständnis als Griechen bzw. Hellenen werden die wichtigsten Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede zwischen den einzelnen griechischen Poleis untersucht.

Kapitel „1 Die Blüte des klassischen Griechenland“ hebt zunächst die Besonderheit Griechenlands im Vergleich mit anderen antiken Gesellschaften in ökonomischer und politscher Hinsicht hervor. Die Kapitel „2 Ameisen um einen Teich“, „3 Politische Lebewesen“ und „4 Hellas war reich“ gehen der Frage nach, wie sich eine „hochrangige Zusammenarbeit und damit politische Stabilität ohne zentrale Führungsinstanz“ und damit ein bis dahin unbekanntes Wirtschaftswachstum im Zusammenspiel der zumeist kleinen griechischen Staatstaaten herausbilden konnte. Dabei greift der Autor ebenso auf neueste sozialwissenschaftliche Methoden wie auf antike Theorien über das Zusammenleben der Menschen eines Platon oder Aristoteles zurück.

Kapitel „5 Gründe für den Reichtum Griechenlands“ untersucht die zwei wesentlichen Faktoren, die das Wirtschaftswachstum ermöglicht haben: die Investition in „Humankapitel“ und das niedrighalten von „Transaktionskosten“ sowie die ständige „Konkurrenz zwischen den einzelnen Individuen und Staaten“, die institutionelle und technische Innovationen anregten und Kooperationen förderten.

Die Kapitel „6 Bürger und Spezialisierung vor 500 v. Chr.“ zeichnet die historische Entwicklung vor allem von Athen, Sparta und Syrakus vom 7. bis ins späte 6. Jahrhundert v. Chr. nach. Anhand ihrer Entwicklung soll die These überprüft werden, dass das dramatische Wirtschaftswachstum, die Entstehung neuer sozialer Ordnungen und die „Etablierung einer großen Bürgerschaft“ (185) als Folge von fairen Regeln und Wettbewerb zwischen den einzelnen Poleis gesehen werden kann. Die Entstehung bestimmen Formen von Poleis werden ebenso vorgestellt, wie die griechische Expansion an den Küsten des Mittelmeers, sowie die Lykurgischen und Solonischen Reformen.

Kapitel „7 Von der Tyrannis zur Demokratie, 550 – 465 v. Chr.“ zeichnet den spannenden Weg von der Herrschaft eines Einzelnen, die außerhalb der griechischen Welt die vorherrschende politische Ordnung darstellte, zur beginnenden Herrschaft des Demos in Athen nach. Im 8. Kapitel „Das Goldene Zeitalter des Imperialismus, 478 – 404 v. Chr.“ behandelt die athenische Gesellschaft und Politik nach den großen Perserkriegen bis zum Ende des, wobei die Wirtschaft Athens ebenso beschrieben wird, wie die zeitgenössischen „Theorien des Reichtums, der Macht und der Politik“ (293).

Kapitel „9 Unordnung und Wachstum, 403 – 340 v. Chr.“ behandelt das Jahrhundert nach dem Peloponnesischen Krieg, in dem Griechenland den Höhepunkt „seiner klassischen Blüte“ (317) erreicht, die Epoche eines Platon, Xenophon, Isokrates und Aristoteles. Die Polis erwies sich auch in dieser Zeit als überaus widerstandsfähige politische, soziale und kulturelle Organisationsform, in der jene Freiheit gesichert werden konnte, welche die klassische Blüte ermöglichte.

Das 10. Kapitel „Politischer Niedergang, 359 – 334 v. Chr.“ zeigt auf, wie es den Makedonenkönigen Philipp und Alexander, im Gegensatz zu den Perserkönigen ein Jahrhundert zuvor, gelingen konnte, den Verband der griechischen Stadtstaaten zu besiegen. Durch Anleihen aus der griechischen Kultur gelang es ihnen sich deren Instrumente des wirtschaftlichen Aufstiegs sowie ihr Spezialwissen auf den Gebieten der Technik und der Kriegsführung anzueignen.

Im letzten Kapitel „11 Schöpferische Zerstörung und Unsterblichkeit“ setzt sich mit der Frage nach der Unsterblichkeit der griechischen Kultur auseinander und zeigt auf, wie die stabile Fortdauer von Wirtschaftswachstum, Föderalismus und Demokratie, trotz des politischen Niedergangs der griechischen Poleis, aufrechterhalten werden konnte. Als zentrale Faktoren dafür haben sich dezentrale Formen zwischenstaatlicher Kooperation, faire Regeln und nachahmende Konkurrenz in den griechischen Poleis gezeigt, in denen auch die demokratischen Verfassungen weiterhin eine bedeutende Rolle spielen konnten.

Im Anhang werden zunächst die Regionen der griechischen Welt aufgelistet, sowie „Das König-Stadt-Elite-Spiel“ vorgestellt, bei der ein hellenistischer König, eine demokratische Regierung und ein Angehöriger der Elite einer Stadt Entscheidungen treffen müssen. In diesem Spiel kommt die Spieltheorie zur Anwendung, mit die Gründe für den Weiterbestand der griechischen Poleis veranschaulicht werden sollen. Anmerkungen und eine umfangreiche Bibliographie, vor allem englischsprachiger Literatur, runden das Geschichtswerk ab.

Der renommierte Historiker Josiah Ober legt ein völlig neues und ungewohntes Bild des Klassischen Griechenland vor, indem er die Erkenntnisse und Methoden der Sozialwissenschaften, der Sozialanthropologie, der Sozialbiologie, der Ökonomie sowie der Spieltheorie in die Untersuchungen der griechischen Welt von der Archaik bis zum Ende der klassischen Zeiten einfließen lässt. Dabei greift er u.a. auch auf das umfangreiche Datenmaterial von POLIS der Stanford University zurück, das Daten zu mehr als 1.000 antiken griechischen Poleis zur Verfügung stellt.

„Das antike Griechenland“ bietet eine herausragende und kluge Analyse gesellschaftlicher und politscher Faktoren, die eine Blüte der griechischen Kultur erst ermöglicht haben, wobei Vergleiche mit der Gegenwart durchaus nicht unerwünscht sind. Ein überaus empfehlenswertes, tiefgründiges und herausforderndes Buch, das viel über das Zusammenleben von Menschen in der Antike wie auch heute verständlich und präzise zu sagen weiß und nicht nur Historiker interessieren wird.

Josiah Ober, Das antike Griechenland. Eine neue Geschichte, übers. v. Martin Bayer / Karin Schuler [Orig. Titel: The Rise and Fall of Classical Greece]
Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2016, 559 Seiten, 36,00 €, ISBN 978-3-608-94928-5

 

Weiterführende Links
Klett Cotta Verlag: Josiah Ober, Das antike Griechenland
Wikipedia: Josiah Ober
POLIS by Stanford University

 

Andreas Markt-Huter, 27-07-2017

Bibliographie

AutorIn

Josiah Ober

Buchtitel

Das antike Griechenland. Eine neue Geschichte

Originaltitel

The Rise and Fall of Classical Greece

Erscheinungsort

Stuttgart

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Klett-Cotta Verlag

Übersetzung

Martin Bayer / Karin Schuler

Seitenzahl

559

Preis in EUR

36,00

ISBN

978-3-608-94928-5

Kurzbiographie AutorIn

Josiah Ober ist weltweit einer der renommiertesten Altertumswissenschaftler. Er lehrte und forschte u.a. an der Princeton University und ist seit 2006 Professor für politische Wissenschaften und Alte Geschichte an der Stanford University. Seine Arbeits- und Publikationsschwerpunkte sind: die athenische Demokratie, das politische Denken der Griechen und seine Bedeutung für unsere Zeit.