Der Fotograf von Auschwitz im Unterricht

Am 27.1.1945 wurde das KZ Auschwitz von der Roten Armee befreit. Aus diesem Grund gibt es derzeit zahlreiche Publikationen und Sendungen zum Thema, das deshalb auch wieder verstärkt im Unterricht behandelt wird.

Die Themen Nationalsozialismus und Konzentrationslager können in der Schule nie fertig aufgearbeitet werden, doch soll im fächerübergreifenden Unterricht (mit dem Geschichte- und/oder dem Religionslehrer an der NMS oder dem Fach Politische Bildung an der PTS) eine Sensibilisierung der Schüler bewirkt werden.

Für Jugendliche und zur Behandlung im Unterricht eignet sich das Buch von Reiner Engelmann „Der Fotograf von Auschwitz – Das Leben des Wilhelm Brasse“ sehr gut.

Es schildert auf nur 162 Seiten in 33 kurzen Kapiteln das Leben und Überleben des polnischen Fotografen Wilhelm Brasse im Konzentrationslager Auschwitz.

Ergänzt wird der Text durch zum Großteil von Wilhelm Brasse selbst gemachte oder entwickelte Aufnahmen aus dem Lager, eine Auswahl an Kurzbiografien von SS-Männern, mit denen Wilhelm Brasse in seiner Zeit in Auschwitz Kontakt hatte sowie einem Glossar, in dem Fremdwörter oder Fachbegriffe aus der NS-Zeit oder dem Lagerleben erklärt werden.

Einige Wochen vor der Erscheinung des Buches veröffentlichten die italienischen Journalisten Luca Crippa und Maurizio Onnis ihr Werk „Wilhelm Brasse – Der Fotograf von Auschwitz“ im Blessing Verlag (Erscheinungsdatum 27.10.2014).

Ich glaube, ein Arbeiten mit beiden Büchern oder der Vergleich einzelner Kapitel daraus wäre sehr interessant. Wenn ich Kapitel aus beiden Büchern verwende, ist dies leicht zu unterscheiden, die Kapitel in Reiner Engelmanns Buch haben Überschriften, die Kapitel in Luca Crippa und Maurizio Onnis Werk tragen römische Ziffern als Kapitelüberschriften.

Einsatz im Unterricht

Die Arbeit mit dem Buch soll begleitet werden von einigen Arbeitsblättern.

Manche davon folgen der Chronologie des Buches und beschäftigen sich nur mit einzelnen Kapiteln. Hier ist es möglich, sie differenziert (passend zu den verschiedenen Kompetenzniveaus) zu gestalten, angefangen von Aufgaben zur Überprüfung des reinen Textverständnisses bis hin zu Übungen zu Ereignissen und Personen, die über das reine Verständnis hinausgehen und ein sich in die Person Versetzen verlangen.

Andere Arbeitsblätter sind durchgehend zu verwenden und zu ergänzen, zum Beispiel Personenumrisse, Lexikon-Karteikarten usw.

Meiner Meinung nach soll bewusst auf lustige Elemente in den Arbeitsblättern, wie etwa Kreuzworträtsel usw. verzichtet werden, um dem Ernst des Themas gerecht zu werden.

Vor dem Lesen

Am Beginn der Beschäftigung mit dem Thema könnte in Zusammenarbeit mit der Schul- oder der öffentlichen Bibliothek eine Bücher- und Videokiste zusammengestellt werden, die für die Zeit der Arbeit mit dem Buch in der Klasse bleibt. Sie soll Zusatzinformationen bieten, aber auch dazu anregen, sich außerhalb des Unterrichts mit dem Thema zu beschäftigen.

An Sachbüchern könnten in der Kiste sein: Lutz von Dijk: „Die Geschichte der Juden“, Clive A. Lawton: „Die Geschichte des Holocaust“, Max von der Grün: „Wie war das eigentlich?“, Hermann Vinke: „Das Dritte Reich“, Claudia Brunner und Uwe von Seltmann: „Schweigen die Täter – reden die Enkel“, Annette Wieviorka: „Mama, was ist Auschwitz?“.

Geeignete Dokumentations-DVDs wären „Zeugen der Shoah. Fliehen – Überleben – Widerstehen – Weiterleben“, „Der gelbe Stern“, „Zwangsarbeit 1939 – 45“ oder „Die Vertriebenen. Hitlers letzte Opfer“.
Bekannte Spielfilm-DVDs sind „Schindlers Liste“, „Jakob der Lügner“, „Anne Frank“, „Die Welle“, „Der Junge im gestreiften Pyjama“, „Die Fälscher“.

Bekannte Jugendbücher, die in der Bücherkiste sein könnten: Hans Peter Richter: „Damals war es Friedrich“, Anne Frank: „Das Tagebuch der Anne Frank“, Erich Hackl: „Abschied von Sidonie“, Willy Lindwer: „Anne Frank“, L. Ruegenburg: (nach Jurek Becker): „Jakob der Lügner“, Thomas Keneally: „Schindlers Liste“, Fania Fénelon: „Das Mädchenorchester in Auschwitz“, John Boyne: „Der Junge im gestreiften Pyjama“, Primo Levi: „Ist das ein Mensch?“ und Morton Rhue: „Die Welle“.

Zwei Bücher für Erwachsene, die aber auch von Jugendlichen gelesen werden können,  sollten in der Bücherkiste nicht fehlen. Erich Hackl bearbeitet in seinen Büchern „3 traumlose Geschichten“ und „Die Hochzeit von Auschwitz“ zwei Kapitel aus dem Buch Engelmanns.

Beim Lesen

Erster Eindruck von den Büchern – die Titelbilder

Bei einer Präsentation der beiden Bücher können ihre Titelbilder genauer betrachtet und analysiert werden. Vorwissen kann eingebracht werden. Dann können Ausschnitte aus den zwei zu den Bildern passenden Kapiteln gelesen werden.

Kapitel 1: 31. August 1940 (Seiten 16 und17) schildert die Ankunft Wilhelm Brasses im Lager Auschwitz, Kapitel 19: Czeslawa Kwoka (Seiten 94 bis 96) beschreibt, wie Wilhelm Brasse das polnische Mädchen im Erkennungsdienst des Lagers Auschwitz fotografiert.

Erste Beschreibung von Wilhelm Brasse

Beim Lesen von Kapitel 1: 31. August 1940 stößt man auf Seite 15 auf die erste Personenbeschreibung Wilhelm Brasses. Man könnte aus dem Selbstporträt Brasses (Wilhelm Brasse – Der Fotograf von Auschwitz, Kapitel II 14, Seite 215) einen Personenumriss anfertigen, in und um den man während des Lesens des Buches einträgt, was man Neues über die Peron erfahren hat. So begleitet dieses Arbeitsblatt die Schüler durch das ganze Buch und sie lernen die vielen verschiedenen Seiten Wilhelm Brasses kennen und sehen, wie hinter Häftling Nummer 3444 immer der Mensch Wilhelm Brasse lebendig bleibt.

Ein weiteres Arbeitsblatt, dessen Thema sich durch das ganze Buch zieht

In Kapitel 2: Die verweigerte Unterschrift und eine gescheiterte Flucht (Seiten 23 bis 27) erfährt man, dass Wilhelm Brasse nach Auschwitz deportiert wurde, weil er es als Pole mit österreichischen Großvater und Vater ablehnt, auf seine polnische Staatsbürgerschaft zu verzichten und die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Er wird deswegen verhaftet, erhält aber im Gefängnis noch einmal die Möglichkeit, sich zur deutschen Staatsbürgerschaft zu bekennen und dann sofort entlassen zu werden, allerdings mit der Bedingung, sich zur Wehrmacht zu melden. Er entscheidet sich dagegen und wird nach Auschwitz gebracht. Im Lauf der Zeit dort wird ihm mehrmals (Kapitel 10: Brasse, ich sehe schwarz für dich, Seite 64, Kapitel II 1: Seiten 106 und 107, Kapitel II 10: Seiten 177 bis 182) angeboten, sich zum Deutschtum zu bekennen und der Wehrmacht beizutreten. Dann könnte er dem schrecklichen Lager entkommen. Immer entscheidet er sich dagegen.
Hier könnte man die Kapitel kurz zusammenfassen und die Schüler darüber nachdenken lassen, warum Wilhelm Brasse die Angebote jedes Mal abgelehnt hat. Können die Schüler das nachempfinden? Was wäre gewesen, wenn er den Angeboten zugestimmt hätte? Welche Folgen hätte das gehabt? Welche Folgen muss er fürchten, weil er nicht so denkt und handelt, wie seine Vorgesetzten das von ihm wollen?
Auch ein innerer Monolog könnte hier geschrieben werden oder auch ein stummes Schreibgespräch in Partnerarbeit, das sich mit den oben genannten Fragen beschäftigt. Hier beantwortet ein Schüler die Fragen und ein zweiter ergänzt oder kommentiert die Antwort. Währenddessen darf nicht gesprochen werden. Das Blatt wird mit einem anderen Paar getauscht und noch einmal bearbeitet, dann gemeinsam besprochen.

Noch ein Thema, das immer wieder vorkommt

Wilhelm Brasse weiß um seine privilegierte Position als Fotograf im Erkennungsdienst. Schon vorher, in der Kartoffelschälerei, ging es ihm besser als vielen anderen. Er nutzt die Vorteile, die sich ihm bieten, aber nicht für sich allein, sondern versucht immer wieder anderen zu helfen, sei es, indem er ihnen Essen zusteckt, sie vor Schlägen bewahrt oder ihnen zu einer Arbeit verhilft, die für sie erträglich ist – oder aber auch, indem er für sie um einen humanen Tod bittet (Kapitel 4: Die ersten Arbeitskommandos, Seite 42, Kapitel 9: Fotografenalltag im Lager, Seite 58, Kapitel 11: Bekannte; Seite 66, Kapitel 18: Freunde, Seite 90 und Seite 93, Kapitel 20: SS-Porträts, Seite 99).

Hier bietet sich an, die Schüler eine immer wieder fortzusetzende Tabelle anlegen zu lassen, in der das Verhalten Brasses in den einzelnen Situationen beschrieben und mit Zitaten belegt wird. In der Gruppe kann besprochen werden, warum Brasse so handelt und welchen Risiken er sich dabei aussetzt.

Lexikon: In fast jedem Kapitel gibt es einen Fachbegriff aus dem Lagerleben, der im Glossar erklärt wird oder eine Erwähnung eines SS-Mannes, dem Brasse im Dienst begegnet. Die Kurzbiografien dieser Männer und die Erklärungen der Wörter finden die Schüler im Glossar. Sie können damit eine Lexikon-Kartei anlegen, die ständig ergänzt wird, auch durch Informationen, die sie aus dem Unterricht, aus Büchern oder Filmen erhalten. Hier können auch Statistiken, Landkarten usw. miteinbezogen werden.

Auch eine Internetrecherche bietet sich an, besonders, weil es gerade derzeit online viele aktuelle Beiträge zum Thema Auschwitz und zu Reiner Engelmanns Buch gibt.
Vor allem der Beitrag über Wilhelm Brasse sollte unbedingt gesehen werden: http://www.rbb-online.de/stilbruch/archiv/20150122_2215/wilhelm-brasse-der-fotograf-von-auschwitz.html oder
http://www.ardmediathek.de/tv/Stilbruch/Stilbruch-vom-22-01-2015/rbb-Fernsehen/Video?documentId=26031630&bcastId=3914800 ab 0:05:10

Aber auch die Fotostrecke aus dem Spiegel-online sollte mit den Schülern gesehen werden: http://www.spiegel.de/einestages/auschwitz-fotograf-wilhelm-brasse-in-den-abgrund-blicken-a-1011484.html
http://www.spiegel.de/einestages/privat-fotos-aus-auschwitz-a-947872.html
http://www.spiegel.de/einestages/auschwitz-zeichnungen-a-947463.html
http://www.spiegel.de/einestages/menschenversuche-in-auschwitz-ueberlebende-erzaehlt-a-947612.html
http://www.spiegel.de/einestages/nazi-arzt-aribert-heim-a-947374.html

In der Printausgabe des „Spiegel“ Nr. 5 vom 24.1.2015 ist die Titelgeschichte „Die letzten Zeugen“ 19 Auschwitz-Überlebenden gewidmet. Auch diese Erinnerungen könnten mit den Schülern gelesen und zusammengefasst, bzw. einzelnen Kapiteln des Buches zugeordnet werden.

Eine weitere Idee, was mit den gesehenen Fotos, den gelesenen Artikeln oder einer Kurzzusammenfassung des Gehörten geschehen könnte, ist der „rote Faden“. Ein roter Faden wird in der Klasse aufgehängt. Zu jedem Kapitel wird etwas inhaltlich Passendes, Erklärendes oder Ergänzenden (Foto, Bild, passender Gegenstand, Collage, Zeitungsartikel, Zitat, ein gestaltetes Wort, ein Symbol) am roten Faden befestigt.

Eine andere Art der Auseinandersetzung mit dem Text ist das Gestalten von Wörtern in Form eines Akrostichons. In einem Akrostichon (Leistenvers) bilden die Anfangsbuchstaben aufeinanderfolgender Wörter ein Wort oder einen Satz. So lassen sich zum Beispiel zum Kapitel 22: Dr. Josef Mengele (Seite 109 bis 111) Leistenverse zu den Wörtern „Menschsein“, „Entmenschlichung“, „Entwürdigung“ bilden. Dies ist eine Art, wie die besondere Grausamkeit dieses Kapitels sehr persönlich und in Ruhe bearbeitet werden kann.

Von Absatz 2 auf Seite 111 dieses Kapitels kann man auf das Nachwort (Seiten 157 und 158) überleiten und mit den Schülern ergründen, warum es Wilhelm Brasse nach dem Krieg nicht mehr möglich war, seinen Beruf als Fotograf auszuüben. Hier könnten die Schüler einen Brief Brasses an einen Freund schreiben, in dem er erklärt, warum er seinen Beruf aufgibt.

Kapitel 32: Mauthausen (Seite 151) eignet sich dafür, einen Radiobericht zu verfassen. Mit den Schülern wird über das Ziel des Radioberichts, seinen Aufbau und seine Sprache gesprochen, dann werden Kurzberichte über die Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen geschrieben. Was haben die Befreier gesehen, erlebt, was fühlten sie? Mit Mikrofon und Aufnahmegerät oder mit Hilfe von audacity werden Aufnahmen erstellt.

Abschließend könnte noch ein Brief an den Autor oder den Verlag, eine eigene Rezension oder ein eigener Klappentext geschrieben werden. Man wird sogar vom Verlag cbj dazu aufgefordert, online eine Rezension abzugeben.

Informationen über den Autor sollten nicht vernachlässigt werden. Auch hier hilft eine Internetrecherche. Der Verlag cbj stellt eine Kurzbiografie zur Verfügung

Natürlich könnten zu jedem einzelnen Kapitel Arbeitsblätter mit Verständnisfragen oder auch schwierigeren Aufgaben zusammengestellt werden. Aber ich denke, zu viele Aufträge neben dem Lesen lenken davon ab, was mit der Lektüre dieses Buches erreicht werden soll.

Sie soll vor allem ein Bewusstsein schaffen für das, was geschehen ist und Empathie mit den Betroffenen wecken. Darüber hinaus soll auch über die Menschen zwischen Tätern und Opfern nachgedacht werden, über die Mitläufer, Zuschauer, Helfer, die Angepassten und Wegschauenden.

Besonders am Beispiel Wilhelm Brasses kann man sehen, dass auch Opfer noch helfen können, dass man aber manchmal wegschauen muss, um überleben und weiterhelfen zu können.

Die Schüler sollen lernen, dass man hinter das Geschehen schauen muss, um Beweggründe zu verstehen und nicht nur vordergründige Handlungen zu beurteilen.

Wenn sie das hier Gelernte auch im Alltag umsetzen können, Meinungen und Verhaltensweisen hinterfragen und sich kritisch, aber auch verständnisvoll damit auseinandersetzen, ist ein großer Schritt getan.

Bild: cbj

Text: Karin Draxl

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