Hubert Flattinger, Kindheit in Hötting

hubert flattinger_kindheit in höttingJede Stadt hat eine sogenannte Ur-Zelle, die als besonders authentisch und ungebrochen gilt. In Innsbruck nimmt Hötting dieses Privileg in Anspruch, und tischt dabei eine besonders deftige Sprache auf, womit die Grundbedürfnisse des Menschen mit beinahe tierisch-einfachen Lauten abgedeckt werden können. Wer sich am Bahnhof Hötting ein Ticket ausdruckt, wird über das international anspruchsvolle „Hotting“ erstaunt sein, es geht zumindest am Bahnhof heute noch heiß her in diesem Stadtteil.

Der Kinder- und Jugendbuchautor Hubert Flattinger inszeniert seinen Rundgang durch den Stadtteil seiner Kindheit mit einem Erinnerungsflash. Er trifft auf ein altes Gesicht, unter dem der Freund aus Kindheitstagen Willi verborgen ist. Und Willi erkennt im gealterten Gesicht des Erzählers jenen Popi mit dem er einst durch alle Zaunlöcher Höttings geschlüpft ist.

Die beiden setzen sich zu einem Altherrenkaffee zusammen und sind schon in der Kindheit.

Es ist gar nicht so leicht, das Gestern hinter sich zu lassen! (87)

Bald tun sich die 1960er Jahre als einzige Orgie von Spiel, Freiheit und Optimismus auf. Willi ist immer schon der dynamische Herumflitzer gewesen, dem kein Hindernis zu groß gewesen ist, um es nicht zu überspringen. Der Erzähler profitiert vor allem von der Spelunke, die seine Mutter gepachtet hat, und worin sich alle Originale zu einem durchgehenden Umtrunk zusammengefunden haben.

Aus dem Gasthaus, dem geheimen Zentrum des Stadtteils, blitzen auch nach Jahrzehnten noch lebendige Dialoge auf. So begrüßen einander echte Höttinger mit der schönen Formulierung „Servus alte Hur!“. Ab und zu gibt es einen patriotischen Umzug, wobei sogenannte Schützen in der Sonne stehen, um Durst für den anschließenden Kampf-Trunk anzusammeln. Die Kinder hingegen spielen nicht Andreas Hofer am Bergisl, was bei diesen Vorbildern naheliegend wäre, sondern ausschließlich Indianer und Cowboy. „Wir waren eben amerikanisiert!“

Soziologisch spielt sich wie eh und je der Klassenkamp sehr subtil ab. Ein sogenanntes reiches Kind wird ausgelacht und ausgenommen, weil es zum Reichtum dazugehört, dass man gemobbt wird. Über die überall sichtbaren Kriegsschäden in den Hirnen der Menschen wird nicht geredet. Manche sind in den Krieg gezogen und nicht mehr gekommen, andere sind zurückgekommen und haben einen schweren Dachschaden mitgebracht. Man geht sehr pragmatisch um mit den Versehrten.

Aus kargen Zeiten ist auch noch ein öffentliches Klo am Hang übriggeblieben, die Kinder nehmen darunter Aufstellung und vergleichen den Hintern mit dem Gesicht, wenn dieses die Notdurft verrichtet.

Hubert Flattingers Kindheit liest sich wie eine Abenteuergeschichte aus dem Fiction-Regal. Darin besteht eben die Kraft einer geglückten Kindheit, dass aus jedem noch so unscheinbaren Ereignis, eine wunderbare Geschichte werden kann. Der Autor gibt augenzwinkernd zu, dass er in erregenden Situationen als Kind wie ein Hund gebellt hat. Zu seinem eigenen Buch würde er jetzt hintennach wohl „wuff!“ sagen und nicken.
 
Hubert Flattinger, Kindheit in Hötting. Fotos, aus d. Reihen: Erinnerungen an Innsbruck
Innsbruck: Wagner‘sche Verlag 2017, 93 Seiten, 9,60 €, ISBN-13 201-7-1010-0001-1

Weiterführende Links:
Wagner‘sche Verlag: Hubert Flattinger, Kindheit in Hötting
Wikipedia: Hubert Flattinger

 

Helmuth Schönauer, 27-11-2017

Bibliographie

AutorIn

Hubert Flattinger

Buchtitel

Kindheit in Hötting

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Wagner'sche Verlag

Reihe

Erinnerungen an Innsbruck

Seitenzahl

93

Preis in EUR

9,60

ISBN

201-7-1010-0001-1

Kurzbiographie AutorIn

Hubert Flattinger, geb. 1960 in Innsbruck, lebt in der Nähe von Wien.

Verkauf über Wagner'sche Buchhandlung