Sonja Unterpertinger, „Doch ist nicht alles Erinnerung, was ich schreibe?“

sonja unterpertinger, erinnerungBeim Vorlesen lässt sich oft schwer feststellen, wer den größeren Genuss hat. Ist es die vorlesende Person oder die lauschende? Ähnliches passiert beim Erinnern, wer hat den größeren Nutzen? Jemand, der durch das Erinnern mit sich selbst ins Reine kommt, oder jemand, der durch die erinnerte Geschichte mit einer anderen Welt vertraut gemacht wird?

Zur Jahrhundertwende ist das Erzählen von Geschichten von „kleinen Leuten“ in den Fokus der Geschichtsforschung getreten. Plötzlich dürfen auch Frauen ein Schicksal haben, Arbeiterinnen, Bäuerinnen. Ergebnis dieser Aufbruchsstimmung des Erzählens sind Autobiographien, die allerorten diskutiert werden.

Sonja Unterpertinger widmet sich in ihrer Forschungsarbeit den drei populären Autorinnen Maria Gremel, 1901-1991, „Mein Leben“, Barbara Passrugger, 1910-2001, „Hartes Brot“, und Anna Wimschneider, 1919-1993, „Herbstmilch“. Alle drei Longseller dürften in jeder öffentlichen Bücherei stehen.

Wie bei guten Forschungsansätzen üblich, lässt sich nicht mehr klären, was zuerst da ist, das Forschungsinteresse oder der Forschungsinhalt? So geht das Interesse, die eigene Geschichte zu erzählen und aufzuzeichnen, auf die allgemeine Stimmung zurück, die Zeitzeuginnen des harten Lebens noch einmal zu Wort kommen zu lassen. Andererseits verblüffen die Ergebnisse die Leserinnen in den diversen Orten mit der Überlegung, dass diese Geschichten überall im Süddeutschen Raum Gültigkeit haben.

Sonja Unterpertinger geht in ihrer Untersuchung auf Fragen ein: Wie wahr ist die Erinnerung? Wird die Erinnerung verfälscht, wenn man sie korrigiert? Gibt es einen schriftlichen Erinnerungsstil?

An ausgewählten Vergleichen stellt sie einen Zusammenhang zwischen dem sozialen und individuellen Gedächtnis her. In dieser Zusammenfügung entsteht dann die Wahrheit. Die Geschichten müssen sich die Erzählerinnen einverleiben, in der heutigen Sprache nennt man es: Ein persönliches Narrativ finden.

Interessant ist naturgemäß auch, was erzählt wird und was nicht. Im Vordergrund stehen Themen wie familiäres Umfeld, Religion, Liebe und Sexualität, Gesellschaft und Individuum, Arbeitswelt. Diese Themen wohnen auch Texten inne, die man gemeinhin als Heimatliteratur nimmt.

Damit der Austausch von innigen Geschichten funktioniert, muss eine emotionale Bindung zwischen den Erzählern und den Zuhörern hergestellt sein. Bei dieser Gelegenheit könnte man fragen, wann das Erzählen nicht funktioniert, oder welche Themen ausgespart sind.

Im Idealfall wird die gesamte Persönlichkeit zur Geschichte, dann verschmelzen Erinnerung, Historie, Persönlichkeit und Autorin. Die drei großen Autobiographinnen Gremel, Passrugger und Wimschneider sind ein Beispiel für diesen Vorgang.

Sonja Unterpertinger, „Doch ist nicht alles Erinnerung, was ich schreibe?“ Erinnern und Bewahren in den populären Autobiographien von Maria Gremel, Barbara Passrugger und Anna Wimschneider
Marburg: Tectum Verlag 2012, 164 Seiten, 17,90 €, ISBN 978-3-8288-2974-9


Weiterführender Link:
Tectum Verlag: Sonja Unterpertinger, „Doch ist nicht alles Erinnerung, was ich schreibe?“

 

Helmuth Schönauer, 26-04-2017

Bibliographie

AutorIn

Sonja Unterpertinger

Buchtitel

„Doch ist nicht alles Erinnerung, was ich schreibe?“

Erscheinungsort

Marburg

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Tectum Verlag

Seitenzahl

164

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-8288-2974-9

Kurzbiographie AutorIn

Sonja Unterpertinger, geb. 1978 in Bruneck, lebt in Zirl.