Szilárd Borbély, Kafkas Sohn

szilard borbely, kafkas sohnKafka ist wahrscheinlich der einzige –ismus ohne –ismus. Wer Kafka sagt, meint neben der Biographie auch einen Mythos, eine Religion, eine Schreibhaltung und lebenslängliche Auseinandersetzung mit sich selbst.

Im Nachlass des ungarischen Schriftstellers Szilárd Borbély findet sich das fast fertige Manuskript „Kafkas Sohn“, das jetzt auf Deutsch erschienen ist. Diese lockere Prosa räkelt sich an der Figur „Kafka“ hoch, die explizit inszeniert ist. „Wir sehen Kafka als…“ lautet die Eingangsformel für Geschichten, die ihn im Bademantel zeigen, beim Schreiben, unter Blinden oder einfach an einem trüben Tag.

Bald wird klar, dass diese Erzählkonstellation eine wunderbare Möglichkeit ist, Tagebuch, Essays, politische Kommentare als eine Geschichte zu erzählen, in welcher der Autor zu Kafkas Sohn wird, der im literarischen Inventar des Franz Kafka seine Kreise zieht.

Der berühmte Brief an den Vater wird dabei zu einem Brief an den Sohn, worin reflektiert wird, was ein Kafka in der Gegenwart eigentlich ist. Zu diesem Zweck wird Kafka als Philosophie ausgebaut, wie sie die Unterdrückten und Vertriebenen im Osten Europas in den letzten Jahrzehnten erleiden mussten. Kafkas Sohn wird dabei zu einer rettenden Erzählfigur, mit der sich das Unsagbare ausdrücken lässt.

In die Richtung nach innen zielt jene Gedankenführung, die im Sinne des Altmeisters die inneren Befindlichkeiten, die Anfälligkeit für Krankheit und die psychische Schwächung insgesamt zum Thema hat.

Kafka jedoch beobachtete nicht das Wasser, sondern sich selbst, und wie derzeit oft dachte er an Selbstmord. (149)

Ein „im Blitzlicht entstandenes Foto“, das Kafka in aufrechter Jungbeamtenpose mit verschränkten Armen zeigt, wird wie eine Ikone angebetet und gedeutet. (90)

Und sogar etwas Lächeln ist erlaubt. „Das Furzen“ (161) zeigt den allmächtigen Kafka-Vater, wie er allmählich alt wird und schwächelt, zwischen seinen Schritten setzt sich Luft ab, die beim Vorübergehen furzig entweicht. Der Alte verliert allmählich seinen Schrecken, indem er fröhliche Geräusche ausstößt.

Im Anhang gibt es zuerst Kommentare zu den abgebrochenen Sätzen und rudimentären Absätzen, die so abgedruckt sind, wie sie im Nachlass zu liegen gekommen sind. Heike Flemming berichtet von den langen Vorarbeiten und Identifikationen des Autors, „sein Interesse an Kafka ging sehr weit, fast bis zur Identifikation.“ (197) Und Lacy Kornitzer stellt „auf der Suche nach einem Glauben“ die jüdische Komponente von Franz Kafka und „seinem Sohn“ in den Vordergrund.

Kafka soll beim Vorlesen der eigenen Texte immer wieder gelacht haben, auch in den Geschichten des Szilárd Borbély ist Lachen während des Dienstes durchaus erlaubt.

Franz aber schlief den Nachmittag durch. Die Wochentage verliefen im Zeichen des Leidens am Arbeitsplatz. Er konnte ihn sich nur schwer erträglich machen, bis dann im siebenten Berufsjahr der Magen seinen Dienst versagte […] (76)

Szilárd Borbély, Kafkas Sohn. Prosa, a. d. ungar. von Heike Flemming / Lacy Kornitzer [Orig.: Kafka fia]
Berlin: Suhrkamp Verlag 2017, 203 Seiten, 24,70 €, ISBN 978-3-518-42590-9


Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Szilárd Borbély, Kafkas Sohn
Wikipedia: Szilárd Borbély

 

Helmuth Schönauer, 09-06-2017

Bibliographie

AutorIn

Szilárd Borbély

Buchtitel

Kafkas Sohn

Originaltitel

Kafka fia

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Suhrkamp Verlag

Übersetzung

Heike Flemming / Lacy Kornitzer

Seitenzahl

203

Preis in EUR

24,70

ISBN

978-3-518-42590-9

Kurzbiographie AutorIn

Szilárd Borbély, geb. 1963 in Fehérgyarmat, starb 2014 durch Suizid in Debrecen.