Bernd Schuchter, Herr Maschine
Eine tolle Idee wie die Aufklärung wird am Ende ein paar wenigen Genie-Geistern zugeschrieben, in Wirklichkeit arbeiten daran Tausende von wilden Denkern, die ihr Leben in den Dienst der Zentralfrage stellen: Was soll der ganze Lebensscheiß eigentlich?
Bernd Schuchter, Fachmann für entlegene Biographien und grenzwertige Gedankengänge, hat für die Aufarbeitung dieser Lebensfrage ein neues Genre entwickelt, die Ideologie-Biographie. Dabei wird das Leben von oft schon vergessenen Einzelgängern in den Strudel des zeitgenössischen Diskurses geworfen, und die extravaganten Gedankengänge werden von den Messern der Tagesdiskussion abgestochen.
Julien Offray de La Mettrie (1709-1751) ist so ein Querdenker, der in Malo in der Provinz geboren, als Arzt und Philosoph bald einmal mit dem Zeitgeist in Konflikt kommt und sich den Hass von Diderot oder Voltaire einfängt, ehe er im Exil in Potsdam doch noch seine Schriften vervollständigen kann. Weltberühmt ist er für seinen Tod, der als „Pasteten-Tod“ in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Der Denker beendet angefressen auf die Welt sein Leben, indem er sich an einer Pastete vor illustrem Kreis zu Tode frisst.
Von den Schriften ist vor allem das Werk „Der Mensch als Maschine“ (1747) übriggeblieben, weil es dem Denkmeister das Attribut „Maschine“ eingebracht hat. In der wütenden Auseinandersetzung mit den Zeitgenossen spricht man von ihm nur als Maschine, weil er die These aufstellt, dass der Mensch vielleicht gar nicht von Gott gesteuert wird, sondern von Gedanken, die ihn wie eine Maschine bespielen. Geht schon diese Behauptung den Zeitgeistlern auf die Nerven, weil sie die Pfründe und Deutungshoheit der gerade für die Herrschaft werkelnden Künstler und Philosophen stört, so bringt eine Vermutung die Leute in Rage, wonach ein Philosoph sich nicht immer eindeutig für oder gegen eine These entscheiden muss. Diese ironisch angelegte Denke bringt natürlich alle bezahlten Meinungsmacher jener Zeit auf die Palme.
Bernd Schuchter erzählt von der Maschine als einem witzigen Außenseiter, der sich mit Ironie retten will, aber dennoch gegen die Masse der Vorurteile keine Chance hat. So wird die damals wie zu jeder Zeit gut verbreitete Syphilis zuerst den Indianern angedichtet, die diese den Europäischen Eroberern angedreht haben sollen, und wenn dieses Vorurteil nicht hilft, wird immer der gerade anrückende Feind mit der Geschlechtskrankheit in Verbindung gebracht. Merke: Der Einheimische ist immer rein!
Die privaten Angelegenheiten der Maschine sind in diesem Faktenroman wohltuend zurückgefahren, dafür kommen die diversen Ideologien zur Sprache bis hin zur gerade grassierenden Maschinensucht. Im 18. Jahrhundert beginnt man, alles Leben zu mechanisieren oder Maschinen zu animieren.
Zwischendurch erklärt der Autor recht hellsichtig, dass sich seit La Mettries Zeiten wenig verändert hat, Querdenker sind auch heute nicht gefragt, die Religion hat immer noch ihre Pfoten in diversen Staatsformen drin, dabei lautet ein schönes Axiom der Maschine:
Dennoch ist auch richtig, dass die Welt niemals glücklich sein wird, wenn sie nicht atheistisch ist. (25)
Bernd Schuchter, Herr Maschine oder vom wunderlichen Leben und Sterben des Julien Offray de La Mettrie
Wien: Braumüller Verlag 2018, 176 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-99200-201-6
Weiterführende Links:
Braumüller Verlag: Bernd Schuchter, Herr Maschine oder vom wunderlichen Leben und Sterben des Julien Offray de La Mettrie
Wikipedia: Bernd Schuchter
Helmuth Schönauer, 02-02-2018