Thomas Antonic, Wolfgang Bauer

thomas antonic, wolfgang bauerSelbst der emsigste Literaturforscher muss sich im Laufe seines Lebens auf ein paar Auserwählte beschränken, die er allumfassend beforschen kann. Ein sterblicher Leser muss sich bei jedem dieser Monumente auf ein paar persönliche Zugänge beschränken, denn jede aufgeschriebene Biographie ist mindestens so groß wie das eigene Leben des Lesers.

Thomas Antonic arbeitet schon seit über einem Jahrzehnt an seinem Wolfgang Bauer, den er sich deshalb ausgesucht hat, weil dieser trotz Genialität vor und nach dem Tod in die Wahrnehmungs-Ecke gestellt worden ist. Die Theater-Österreicher haben sich lieber um den Loden-trächtigen, letztlich handzahmen Thomas Bernhard geschart, statt den flapsig-frechen, garantiert grausamen Wolfgang Bauer auf die Bühnen zu lassen.

Die Literatur kümmert sich gleichsam um beide Sorten ihrer Protagonisten. Zum einen um die erfolgreichen Siegertypen, die hymnisch zelebriert und in tausend Schauvitrinen gelegt werden, zum anderen um die Gescheiterten, die dem Motto huldigen müssen: „Wenn du schon zu Lebzeiten vergessen wirst, hast du im Sinne der Beatniks alles richtig gemacht.“

Wolfgang Bauer gehört eindeutig zu den Verlorenen und Geschlagenen. Nicht umsonst gilt er in informierten Kreisen als der Größte unter den Beat-Dichtern Österreichs, wiewohl es in dieser Gattung kein Ranking gibt, denn jeder Beat-Dichter steht auf verlorenem Posten.

Thomas Antonic geht die Biographie jeweils wissenschaftlich im Dreierschritt an. Für jeden Abschnitt gibt es ein paar Bemerkungen zum Leben des Wolfi Bauer, dann kommt eine ausführliche Darstellung und Analyse des gerade aktuellen Stücks, und schließlich geht es um die Rezeption in der internationalen und lokalen Presse. Die Quellen liegen noch klassisch in den Zeitungsberichten und im ORF, da der Autor sein Werk vor dem Einsetzen des Internets abgeschlossen hat.

Antonic versieht die genannten Personen immer mit Geburts- und Sterbedaten, so dass man als Leser sofort erkennen kann, wer ein Zeitgenosse von einem ist und wen man schon überlebt hat.

Die drei größten Lebensbrocken verteilen sich auf die Epoche Graz und Wien in den 1960er Jahren, auf Amerika und Österreich in den 1980er Jahren und auf „verschollen im literarischen Untergrund“ in den 1990er Jahren.

In insgesamt acht Kapitel werden dabei gut dreißig Theaterstücke abgearbeitet. Wenn man als Leser gut dreißig Stunden damit verbringt, hat man hintennach das Gefühl wohliger Erschöpfung wie nach einer Wagner-Oper. Obwohl viele Werke noch in zeitgenössischer Erinnerung sind, gilt alles als abgeschlossen, abgerundet und abgedrängt.

Dabei geht es immer um ur-theatralische Themen wie Identität, Fiktion, Wirklichkeit und Perspektive. Immer ist auch das Theater selbst thematisiert, indem die Grenzen aufgezeigt werden. So spielt etwas in einem Wohnzimmer, das man auf der Bühne nicht sieht, Figuren sind sich nicht im Klaren, wer sie auf der Bühne sein sollen, und die zentrale Formel zu allem lautet: Jedes Stück ist und entsteht gleichzeitig. (459)

Die Auswirkungen der Stücke sind mannigfaltig. „Magic Afternoon“ ist mittlerweile ein Zitat geworden, das einen irrealen Flash aus den 1960-ger Jahren beschreibt. „Café Tamagotchi“ ist so zeitnah geschrieben, dass bei der Uraufführung das Spielzeug Tamagotchi schon veraltet ist. „Magnetküsse“ werden in Amerika völlig anders aufgenommen als in Europa. Zum Teil werden Genres zitiert, zu denen man keinen Inhalt mehr findet. So ist der „Inselwitz“ einerseits ein Genre, andererseits eine Tragödie in einem Bild. Die „Mikrodramen“ sind oft so kurz, dass sie in einem einzigen Wort-Kompott enden.

Im Sprung zwischen Provinz und internationaler Karriere verschwindet Wolfgang Bauer in einem einzigartigen Gap. Den Kosmos Wolfgang Bauer kann man mannigfaltig lesen, als Inszenierungskünstler, atemloser Schreiber, Entwickler von Genres, Provinzdichter und internationalen Star.

Für Anhänger der Verdroschenen-Poetik empfiehlt sich die Lektüre als Beatnik. Wolfgang Bauer hat mehrfach Verbindungen zwischen der Beat Generation und dem literarischen Leben in Österreich geknüpft. Zu Beginn steht vielleicht die Ikonisierung als Pop-Künstler, in Ergänzung zum frühen Handke mit seiner Innenwelt der Außenwelt stehen seine frühen Gedichte und poetischen Akte. Die Methode des Free Schach ermöglicht das Überwinden jeglicher Spielregeln. In einem Wettbewerb wird zum Beispiel ein Poet Sieger, weil er als Abschluss der Performance ein Stück Seife isst. Antonic verweist auf die semantische Kette Free Schach, Free Chess, Free Jazz.

Zu Zeiten, als Graz als Hauptstadt der Literatur installiert war, gab es auch Symposien mit dem deutschen Beat-Guru Rolf Brinkmann, wie dieser in seinem „Rom.Blicke“ beschreibt.

Mit dem Langgedicht „Das Herz“ greift Wolfgang Bauer auf das Langgedicht der amerikanischen Beat Generation zu. In der Schule der Dichtung mit Ide Hintze und Christian Loidl kommt es abermals zu Verschränkungen mit der amerikanischen Beat-Literatur.

Und das Verschwinden in der Literatur zu Lebzeiten ist ebenfalls eine Eigenschaft, die auf starken Beat in der Biographie hinweist.

Dieses Scheitern lässt sich wahrscheinlich in verschiedenen Härtegraden darstellen. Vorsichtig formuliert: Wolfgang Bauer hat sich einfach anders entwickelt als der Theaterbetrieb. Allerdings braucht es drei Dinge, um ein allumfassendes Scheitern hinzukriegen. Du brauchst einen Denunzianten. Im Falle Wolfgang Bauer ist das Thomas Bernhard, der sich am Burgtheater dafür einsetzt, Wolfgang Bauer zu ächten und zu ignorieren. Du brauchst einen Feind. In diesem Falle spielt Sigrid Löffler diese Rolle, indem sie sich an den Stücken Wolfgang Bauers vernichtend abarbeitet, um ihre permanenten Kränkungen durch Reich-Ranicki im literarischen Quartett als Rezensionsdampf abzulassen. Und du brauchst einen arroganten Kerl, der dich politisch vernichtet. In diesem Fall ist das Wolfgang Lorenz, der als Intendant des Spektakels „Graz als Kulturhauptstadt“ dafür sorgt, dass man Wolfgang Bauer als Grazer für Graz vergisst.

Ja, und dann der Abgang. Der Held stirbt, nachdem er sich noch einen großen Schluck genehmigt hat am Herzen und allem. Und nach Stunden der Lektüre ist man als Leser den Tränen nahe. Man bewundert diese feinfühlige, hochsensible Art der Darstellung von Thomas Antonic, der einen Freund mit Würde ins Grab legt. Und man weint fast echt über den letzten Absatz Wolfgang Bauers, der voller Beat ist.

„Dasein ist furchtbar. Das Banale … Schreiben ist eine ungeheure Flucht vor dem grausigen Dasein. Darum kommt kein Künstler herum. […] Das Jenseits ist gleich furchtbar wie das Diesseits. Es gibt kein Paradies. Es geht so weiter. Man hofft trotzdem immer. Aber in Wirklichkeit, logisch denkend, muss man annehmen: Es ist wieder das gleiche. Wir haben nicht die Chance, auf ein Paradies zu hoffen. Wirklich nicht.“ (510)

Thomas Antonic, Wolfgang Bauer. Werk, Leben, Nachlass, Wirkung
Klagenfurt: Ritter Verlag 2018, 605 Seiten, 27,00 €, ISBN 978-3-85415-574-4

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Thomas Antonic, Wolfgang Bauer
Wikipedia: Thomas Antonic
Wikipedia: Wolfgang Bauer

 

Helmuth Schönauer, 19-10-2018

Bibliographie

AutorIn

Thomas Antonic

Buchtitel

Wolfgang Bauer. Werk, Leben, Nachlass, Wirkung

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Ritter Verlag

Seitenzahl

605

Preis in EUR

27,00

ISBN

978-3-85415-574-4

Kurzbiographie AutorIn

Thomas Antonic, geb. 1980 in Bruck an der Mur, lebt in Wien.

Wolfgang Bauer, geb. 1941 in Graz, starb 2005 in Graz.