Klemens Renoldner, Lilys Ungeduld

Buch-Cover

In manchen Familien ist wie bei einem Eisberg nur der unwesentliche Teil sichtbar, die wahren Klumpen des Familiengefüges bleiben unsichtbar, weil sie schon im Jenseits liegen.

In Klemens Renoldners Roman hat Lily in der Blüte ihres Lebens Suizid verübt, indem sie scheinbar grundlos von einer Brücke auf den Grund eines Flusses gesprungen ist.

Nach dem Tod der 24-jährigen Lily implodiert die Familie. Der Vater, ein Architekt, zieht sich verbissen in seinem Haus im Engadin zurück, die ältere Tochter Veronika, lebt halbwegs erfolgreich und gefestigt als alleinerziehende Ärztin in Berlin. Nach zwölf Jahren scheint die Trauerstarre aufgehoben, der Vater bittet seine Tochter zu einer Aussprache mit Aussicht auf Versöhnung.

Ungelenk und unbeholfen versuchen Tochter und Vater ihre Sprachlosigkeit zu überwinden, der Vater hatte nach Lilys Tod überhaupt einen völligen Sprachverlust, jetzt versuchen sie, ?Schluss zu machen mit der Suizid Poesie. (73)

Vater hat sich voll in die Malerei geworfen, Lily-Bilder sollen das Unsagbare verdeutlichen, vielleicht lässt er sich wieder in die Architektur zurückführen, hofft seine Tochter. Als der Architekt von vermutlichen Tschetschenen zusammengeschlagen wird, ist das beinahe ein willkommener Akt, um wieder mit der Umwelt in Verbindung zu treten.

Lilys Tod wird man wohl nie enträtseln können, meinen beide, vielleicht war sie nicht geeignet für diese Welt, wahrscheinlich war sie mit sich selbst zu ungeduldig. Vielleicht aber hat sie die Glückserwartung der heilen Familie in den Tod getrieben.

Wenn von Lily die Rede war, hieß es damals nur: Lily, die Kluge, Lily, die Glückliche. Weil sie strahlen konnte wie keine andere. Weil sie sich begeistern konnte wie niemand sonst. (58)

Quasi in einem Showdown der Familiengeschichte übergibt der Vater an seinem 72sten Geburtstag in New York in einer Museumshalle voller Dinosaurier eine Vollmacht über alle Erbschaftsangelegenheiten und sein Vermächtnis an seine Tochter. Was ist schon eine Familiengeschichte gegen die Zeitlosigkeit ausgestorbener Dinosaurier.

Klemens Renoldner erzählt mit vielen Rucken von Kleinkapiteln eine amorphe Familiensage, die letztlich voller ungelöster Rätsel bleibt. Die einzelnen Mini-Kapitel werden dabei mit verheißungsvollen Titeln ausgestattet, die oft ein Schritt in die Leere, eine Versuchung zur Scheinlösung andeuten. ?Wenn alles für die Hypothese spricht, was ist dann wahr? (239) Nur das beharrliche Nachfragen und Aussitzen macht vielleicht einen Sinn. Und gegen den Lauf des Lebens gibt es ohnehin kein Rezept, das beweisen die Dinosaurier.

Klemens Renoldner, Lilys Ungeduld. Roman
Wien, Bozen: folio 2011, 248 Seiten, 22,90 €, ISBN 978-3-85256-577-4

 

Weiterführende Links:
Folio-Verlag: Klemens Renoldner, Lilys Ungeduld
Homepage: Klemens Renoldner

 

Helmuth Schönauer, 05-09-2011

 

 

Bibliographie

AutorIn

Klemens Renoldner

Buchtitel

Lilys Ungeduld

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

folio

Seitenzahl

248

Preis in EUR

22,90

ISBN

978-3-85256-577-4

Kurzbiographie AutorIn

Klemens Renoldner, geb. 1953 in Schärding, lebt in Salzburg.

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