Siegfried Singer, Mein Reutte

Buch-Cover

Ha, das ist ein fröhliches Buch, vorne am Buchumschlag radelt dem Leser ein Kabarettist entgegen und hinten fährt er wieder aus dem Buch hinaus.

Es muss sich um einen Kabarettisten handeln, denn die Kleidung ist irgendwie Bürgermeisterlich und das Rad ist offensichtlich aus einem Tati-Film übrig geblieben.

Tatsächlich handelt es sich um den radelnden Bürgermeister Siegfried Singer, der den Hauptort des Außerferns fünfzehn Jahre lang irgendwie als große Humoreinlage verwaltet hat und schon zu Lebzeiten zu einer Legende geworden ist.

Jetzt im Ruhestand zwingen ihn die biologischen Vorgänge, noch schnell etwas zu erzählen, ehe es zu spät ist, wie er süffisant meint. Daher handelt es sich bei den Erzählungen nicht um große Literatur, in der weißgott welche Gedankengänge verschränkt dargeboten werden, sondern im Sinnevon Anekdoten und Witzen um eine humorvolle Ausleuchtung des Talkessels.

Freilich kommen dabei komplizierte politische Vorgänge alle in der gleichen Spurbreite daher, das mag daran liegen, dass in der Provinz eben wirklich alles einfach ist, es kann aber auch sein, dass mit den Jahren die Ereignisse alle die gleiche Spurbreite bekommen.

Gleich die erste Geschichte ist bemerkenswert pfiffig. Wie in ganz Tirol wurde auch im Außerfern in den Dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts noch gekrippelet, dass sich die Balken bogen. Der Erzähler berichtet von einer aufregenden Krippele-Tour und ergötzt sich schließlich an einer dermaßen brutalen Weihnachtskrippe, die so gewalttätig ausgefallen ist, dass man sie vor den Kindern versperren musste. In der Krippenszene punktete man schon damals mit Hardcore-Aufstellungen, die von der Bevölkerung in Scharen aufgesucht wurden. Nach dem Tod des Krippenproduzenten wurde diese Rarität leider nie mehr aufgestellt.

In einer anderen Episode werden von den Nazis drei einheimische Könige installiert, die sich aber alsbald als so lahm erwiesen, dass sie wieder entfernt werden mussten. Offensichtlich gab es so etwas wie eine sanfte Ausgabe des Nationalsozialismus, meint der Erzähler, der durchaus Verständnis für diese Personen hat, zog man doch damals die Lehre: Nie politisch zu sein! Freilich ist der Autor dann doch Jahrzehnte später irgendwie aus Versehen Bürgermeister geworden.

In der Geschichte von der Windfahne muss zuerst ein Vorurteil herhalten. Die Windfahne, die bei jeder politischen Veränderung umfällt ist nämlich zugezogener Wiener. Die gebürtigen Reuttener wären wohl nie zu einer Windfahnenhaltung fähig! Dieser labile Mensch aus Wien ist immer einen Tag nach der Veränderung der Regime schon bei den neuen Machthabern gewesen. Witzigerweise hat er dann als Leiter der Kirchenbeitragsstelle das Leben in Windstille zu Ende gebracht, eine bemerkenswerte Karriere.

Wenn Siegfried Singer aktuell wird, greift er mit seinen Vergleichen freilich ins Leere. So werden die zu Kreuz kriechenden Kirchgänger aus der schwindenden Nazizeit mit jenen verglichen, die anlässlich von Bushs Irakkrieg wieder in die Kirche kriechen. ? Ein Vergleich, der zwar sehr witzig ist, aber historisch doch einiges durcheinander bringt. Eine Liste mit alten Hausnamen in Reutte, und die Aufzählung ehemaliger Bezeichnungen von Ortsteilen werden jedes einheimische Herz höher schlagen lassen.

Aus dem Buch kann man insgesamt lernen, dass jene die beste Politik machen, die die ganze Sache etwas kabarettistisch anlegen. Und in seiner witzigen Art ist Siegfried Singer sowohl als Erzähler als auch als Altbürgermeister eine imposante Erscheinung. Mit einem leisen Tschüss radelt er hinten wieder aus dem Buch hinaus.

Siegfried Singer, Mein Reutte. Erzählungen und Anekdoten. Mit Illustrationen
von Wolfgang Maier.
Reutte: Ehrenberg-Verlag 2004. 74 Seiten. EUR 9,90. ISBN 3-901821-05-8.

 

Helmuth Schönauer 29-10-2004

Bibliographie

AutorIn

Siegfried Singer

Buchtitel

Mein Reutte. Erzählungen und Anekdoten

Erscheinungsort

Reutte

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Ehrenberg-Verlag

Illustration

Wolfgang Maier

Seitenzahl

74

Preis in EUR

EUR 9,90

ISBN

3-901821-05-8

Kurzbiographie AutorIn

Siegfried Singer lenkte als radelnder Bürgermeister fünfzehn Jahre lang die