Benedikt Widmaier u.a., Politische Bildung nach Auschwitz

benedikt widmaier, politische bildung nach auschwitz„Wie kein anderes historisches Ereignis stehen die nationalsozialistischen Verbrechen für die basale Erschütterung des Vertrauens in die zivilisatorische Selbstbegrenzung der modernen Gesellschaft. Auschwitz zerbrach die fortschrittsoptimistische Grundfigur der Aufklärung, weil sich mit der industriell organisierten Vernichtung von Menschen, dem zerstörerischen Antisemitismus und der Pervertierung des Nationalstaatsgedankens das erklärte Ziel der Aufklärung in ihr Gegenteil verkehrt hatte.“ (S. 17)

Die Schrecken der NS-Diktatur und des Holocaust bilden die zentrale Zäsur des 20. Jahrhunderts, die auch für die politische Bildung im schulischen Unterricht, vor dem Hintergrund veränderter Lebens- und Erfahrungswelten eine fundamentale pädagogische Herausforderung darstellt.

Bei der Auseinandersetzung mit dem NS-Staat, der mit Auschwitz den Zenit seiner Perversion erreicht hat, stellt sich die zentrale Frage, wie all das möglich sein konnte und wer welche Verantwortung dafür zu tragen hat. Es geht um Fragen zivilisatorischen Vertrauens ebenso wie nach den Möglichkeiten, das Handeln anderer verstehen und beurteilen zu können.

Im ersten Kapitel „Politische Bildung nach Auschwitz“ wirft Wolfgang Meseth zunächst das Problem der allzu oberflächlichen pädagogischen und politischen Indienstnahme der Vergangenheit in der Politik und Pädagogik, wo mit der Shoa als Bezugspunkt eine Politik durchgesetzt werden soll, welche die Menschenrechte verteidigt. Dabei droht die Gefahr, dass sich die Inhalte mit den formelhaften Zügen zunehmend leerlaufen. Dabei gerät das Spannungsfeld zwischen historischem und moralischem Lernen ins Blickfeld der Diskussion.

Thomas Koinzer geht der Frage „Die Schule als Ort der Demokratie erfahren“ nach und wirft dazu einen Blick in die Vergangenheit und die Auseinandersetzung Adornos und Horkheimers mit Auschwitz. Astrid Messerschmidts Beitrag „Erinnern als Kritik“ geht der Erinnerungskultur der kritischen Auseinandersetzung mit den Themen Opfer und Täter sowie Krieg und Verbrechen in der politischen Bildung nach. Karl-Christoph Lingelbachs Beitrag „Urteilskompetenz erwerben und »Emanzipation« fördern mit Auffassungen über politische Bildung in den 60er / 70er Jahren.

Weitere Themenbereiche sind die „Erinnerung im gesellschaftlichen Wandel“ gehen den veränderten Sichtweisen auf die NS-Verbrechen im Lauf der Geschichte und durch die Migrationsgesellschaft nach. Der Abschnitt „Erinnerung und Gedenkstätten“ beleuchtet die Arbeit der Gedenkstätten aus der Perspektive der Einrichtungen sowie aus dem Blickwinkel der Besucherinnen und Besucher.

Im Kapitel „Erinnerung als Prävention gegen Rechtsextremismus“ zeigt zunächst die Erinnerungskultur am Beispiel von Nürnberg auf und stellt anschließend eine empirische Untersuchung von Schülervorstellungen zum Thema „Rechtsextremismus“ vor und sucht nach Ansatzpunkten für eine historisch-politische Bildungsarbeit. Klaus-Peter Hufer setzt sich mit rechtsextremen Stammtischparolen auseinander als Methoden zur Prävention gegen Rechtextremismus.

Im abschließenden Kapitel „Erinnerung als europäisches Projekt“ werden Anstöße für eine europäische Erinnerungsarbeit und Perspektiven einer Europäisierung der Erinnerungsarbeit aufgezeigt. Anschließend kommen Vergangenheitsdiskurse in Spanien, Polen und Deutschland zur Sprache.

Der Sammelband „Politische Bildung nach Auschwitz“ bietet eine breite Palette gegenwärtiger Diskussion um die pädagogische und politische Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen. Dabei werden die unterschiedlichsten Dimensionen und Veränderungen im Blickwinkel auf die Vergangenheit thematisiert.

Ein überaus lesenswertes und informatives Sachbuch, das konstruktive Anregungen und einen hilfreichen Einstieg für die politische und pädagogische Erziehungsarbeit in ein ebenso schwieriges wie komplexes Thema bietet.

Benedikt Widmaier / Gerd Steffens / Sylvia Heitz u.a., Politische Bildung nach Auschwitz. Erinnerungsarbeit und Erinnerungskultur heute, hg. v. Benedikt Widmaier / Gerd Steffens, aus d. Reihe: Non-formale politische Bildung
Schwalbach: Wochenschau Verlag 2015, 192 Seiten, 20,40 €, ISBN 978-3-7344-0069-8

 

Weiterführender Link:
Wochenschau Verlag: Benedikt Widmaier u.a., Politische Bildung nach Auschwitz

 

Andreas Markt-Huter, 04-05-2026

Bibliographie

AutorIn

Benedikt Widmaier / Gerd Steffens / Sylvia Heitz

Buchtitel

Politische Bildung nach Auschwitz. Erinnerungsarbeit und Erinnerungskultur heute

Erscheinungsort

Schwalbach

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Wochenschau Verlag

Herausgeber

Benedikt Widmaier / Gerd Steffens

Reihe

Non-formale politische Bildung

Seitenzahl

192

Preis in EUR

20,40

ISBN

978-3-7344-0069-8

Kurzbiographie AutorIn

Dr. Benedikt Widmaier war von 1978-2012 Referent für politische Bildung beim Hessischen Jugendring und ist seit 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Erziehungswissenschaften auf einer Vertretungsprofessur der Goethe Universität Frankfurt.

Prof. Dr. Gerd Steffen war Professor für Politische Bildung und ihrer Didaktik am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel.

OStR Sylvia Heitz war im Hochschuldienst in der Didaktik der Sozialwissenschaften an der Goethe Universität Frankfurt tätig.