siljarosa schletterer, azur ton näheDie verschwiegenste Lyrik wächst für Augenblicke aus dem großen Fließen heraus, wenn das abgedriftete Auge zurückschnellt, um abermals dem Verlauf des Wassers zu folgen.

Siljarosa Schletterer siedelt ihre Gedichte an einem Fluss- und Fließsystem an, „azur ton nähe“ belegen als Farbe, Musik und Innigkeit unbegleitete Wörter, die scheinbar zufällig als Flusskiesel am Ufer liegen.

Dieses Gewässersystem ist einerseits als imaginäres Netz von Lebenssubstanz über die Erde gespannt, andererseits mit GPS-Daten verortet. So wie heute bereits jedem Foto die Aufnahme-Koordinaten innewohnen, so sind die Gedichte mit konkreten Daten hinterlegt und als Überschrift gesetzt. In einem angeschwemmten Flussverzeichnis am Ende des Bandes kommen die Flüsse als Register zum Vorschein, und in diesem Fall sind die Schwerpunkte mit den Seitenzahlen des Gedichtes fixiert.

peter paul wiplinger, schachteltexte3Damit die Literatur aus dem Leben heraustreten und sich Luft verschaffen kann, braucht es zwei Beobachtungsschlitze: Durch den einen blickt man auf den anstehenden Tag, durch den anderen auf das verflossene Leben.

Peter Paul Wiplinger führt die beiden Suchbewegungen mit seinen Schachteltexten elegant und eindringlich zusammen. Seit fünfzehn Jahren arbeitet er an diesem einmaligen Dokument, wobei auf ausgeklappte und ausgerissene Verpackungsteile mit der Füllfeder Texte komponiert werden. Ein Auge blickt auf den aktuellen Zustand des schreibenden Ichs und das andere setzt sich den historischen Gezeiten von Kindheit bis zur Reife aus.

alois hotschnig, der silberfuchs meiner mutterGermanisten kümmern sich um die Autoren, Rezensenten um die Leser. Bei einem Meisterwerk treffen beide friedlich aufeinander und besingen das Kunststück von vorne und hinten.

Alois Hotschnig ist ein versöhnender Dichter, der die oft seltsam schrägen Ansprüche der Germanisten mit den geraden Bedürfnissen der Leserschaft zusammenbringt. Seine solitären Bücher zeigen, dass sich ausgehungerte Lesende zum Buch meist noch etwas hinzu wünschen, ehe sie mit der Lektüre beginnen.

ana schnabl, meisterwerkZwischen Literatur und Geschichte herrscht immer ein unausgesprochenes Wechselspiel. Zum einen vermag die Literatur gesellschaftliche Umbrüche voranzutreiben oder zu verhindern, zum anderen werden in Zeiten des Umbruchs selbst intime Liebesgeschichten zu einem Politikum.

Ana Schnabl verwendet für ihren Roman „Meisterwerk“ die Witterung des untergehenden Jugoslawiens und stellt den einzelnen Kapiteln immer eine Stadtlandschaft voller Pfützen voran, worin Helden in ihren nassen Kleidern herumtapsen. Und schon beim ersten absichtslosen Betreten eines Treppenhauses merkt jeder, dass hier ein Staat am Ende ist, und es setzt bedrückende Stimmung ein.

martin maier, oder soWahrscheinlich die diskreteste Relativierungsformel der deutschen Sprache heißt „oder so“. Wird dieses magische Zeichen für Mehrdeutigkeit einer Behauptung hintangestellt, so schwächt sie einerseits das Behauptete ab, indem etwas gar nicht so klar sein möchte, andererseits bekommen die verwendeten Begriffe Konkurrenz, es kann etwas „gefährlich sein oder so“, der verwendete Begriff könnte durchaus ersetzt werden.

Martin Maier überschreibt seine knapp fünfzig Texte mit diesem „oder so“ und lässt dabei das Genre offen. Manchmal glaubt man eine Parabel zu erkennen, wie sie in der Literaturgeschichte Franz Kafka mit seinem „Gibs auf“ vorgelegt hat, ältere Leser werden an Bert Brecht und seine „Keunergeschichten“ erinnert sein, wenn sich nach einer rätselhaften Problemstellung eine Art didaktischer Ausweg anbietet. Manches ist einfach eingedampfte Performance eines verschwundenen Alltags, und Anhänger des Bildes von der Doppelhelix in biologischen Zellen schwärmen von der Verschränkung, mit der Konnotation und Denotation sich in den Armen liegen.

tom zürcher, liebe rockDer gute Dichter textet alles, was das Leben von ihm verlangt. Tom Zürcher hat diese literarische Hauptaussage vorsorglich in die eigene Biographie verlagert. Dort ist sie auch dann noch von Nutzen, wenn sich ein Buch mit all seinen Weisheiten nicht am Literaturmarkt bewähren sollte. Und diese literarische Programmatik bringt zudem den gegenwärtigen Literaturbetrieb auf den Punkt.

Im Sinne der Postmoderne muss der Leser mitmachen und die finale Ordnung der Lektüre besorgen, der Autor bringt das Knowhow aus der Szene der Literaturhäuser und Schreibwerkstätten mit, und die überschaubar wenigen Figuren sind aus den Verlagskatalogen abgeschrieben, wo sie die Felder Kindheit, Erziehung, Liebe, Hund, Behinderung abdecken. Und es gibt keinen Unterschied zwischen der schreibenden Figur, dem Leser und dem abgedruckten Portfolio an Handlungen und Gesprächen.

felix philipp ingold, übersetzenLiteratur ist ein Material, das je nach Konsistenz gewisser Formen bedarf, um es zu transportieren oder archivieren. Neben den klassischen Erscheinungsformen wie Roman, Gedicht oder Essay gibt es noch etwas, was sich in keiner Form fassen lässt. Augenzwinkernd könnte man vom „Nichteingezwängten“ reden, also einem Text, der für alle Formangebote zu groß oder zu klein ist.

Felix Philipp Ingolds Literatur ist formvollendetes Nichteingezwängt-Sein. In voluminösen Bänden erscheint sein Lebenswerk quasi neu zusammengesetzt für die Nachwelt. Das heißt, die bislang veröffentlichten Schriften werden oft ihres Genres entkleidet und erscheinen als Stoffsammlung mit eingefügten Essays, Notizen, Repliken und Umschreibungen des früheren Zustandes als Erstveröffentlichung.

peter simon altmann, suite poétologiqueEssays sind Texte, die ähnlich Brücken unter großer Spannung stehen müssen, um die Traglast unauffällig zu bewältigen. Die beiden Brückenköpfe sind in diesem Vergleich das schreibende Subjekt und der scheinbar objektive Tatbestand eines Themas. Je nach Verfassung des Subjekts und Notwendigkeit des Objekts kann dabei die Sichtweise regellos zwischen beiden Polen verschoben werden, der Essay lebt von dieser Regellosigkeit.

Peter Simon Altmann schiebt den Essay-Regler in seiner „Suite poétologique“ vollends in die Richtung des schreibenden Subjekts, denn das ist ja das Thema seiner zwölf Überlegungen. In der losen Abfolge einer Suite greifen die Gedanken über die allmähliche Verfestigung eines lesenden Menschen hin zu einem Schriftsteller zuerst ineinander über, ehe sie sich unterhaken und ein deutliches Bild ergeben.

ewald baringer, der zaunprinzPrinz kann ein hartes Schicksal sein. Ein besonders „prinziges“ Schicksal hat in der Gegenwart der englische Thronfolger ausgefasst, der mit großen Ohren gegen sein Leben in der Warteschleife ankämpft.

Ewald Baringer stellt in seinem Roman ein triviales Prinzen-Schicksal aus unseren Breitengraden vor. Und wer könnte besser für diese undankbare Aufgabe geeignet sein als ein Germanist, der ein Leben lang mit nichts fertig wird? Natürlich sind es auch beim Germanisten widrige Umstände, die ihn an seiner undefinierten Aufgabe scheitern lassen, aber als halbgebildeter Mensch weiß er, dass der Zaunkönig ein kluges Tier ist, das in der Fabel schon mal zu einem Zaunprinzen mutieren kann, indem er sich die Welt schönredet und auf große Missionen pfeift.

irene wondratsch, fata morganaEin recht seltenes Schreibziel liegt darin, von vorneherein gescheiterte Literatur zu verfassen und die Geschichten in Sackgassen zu jagen, worin sie der Leser aufwändig aufspüren soll.

In vier Erzählversuchen baut Irene Wondratsch an einer fiktionalen Blase herum, die aus der Entfernung als wabernder Stoff einer Fata Morgana durchs Buch schimmert. Die unklaren Verhältnisse können auf die schwachen Augen der Lesenden zurückzuführen sein, es kann sich aber auch um Textkompositionen handeln, die von vorneherein keine Trennung zwischen klaren Linien, Personen und ihren Sätzen machen. „Traum und Fehlen jeglicher Nachricht“ (77) wird jener Zustand genannt, in dem die Helden vor den Augen der Schreibenden zusammenbrechen.