agnes heller, was ist komisch?„Dieses Buch sollte als Versuch gelesen werden, über das Phänomen des Komischen im Allgemeinen philosophisch nachzudenken. Soviel ich weiß, ist dies der erste Versuch, dies zu tun. […] Mein Buch soll keine Zusammenfassung sein, sondern eine Ouvertüre. Es ist nicht provokant, auch wenn Form und Inhalt vielleicht stellenweise provokant wirken. Ich hoffe, es wird angefochten, zurückgewiesen oder lächerlich gemacht. Nur dann kann ich von einem Erfolg ausgehen.“ (S. 9)

Ágnes Heller stellt ihr Nachdenken über die Komödie in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen und bezieht sich dazu auf Romane, Komödien, Gemälde oder Filme, die sie selbst gelesen oder gesehen hat. Unabhängig von Sekundärliteratur versucht sie dazu ihr eigenes Verständnis der jeweiligen Kunstwerke darzulegen und „über komische Phänomene nachdenken und nicht bloß Informationen darüber sammeln“ (S. 9).

thomas antonic, wolfgang bauerSelbst der emsigste Literaturforscher muss sich im Laufe seines Lebens auf ein paar Auserwählte beschränken, die er allumfassend beforschen kann. Ein sterblicher Leser muss sich bei jedem dieser Monumente auf ein paar persönliche Zugänge beschränken, denn jede aufgeschriebene Biographie ist mindestens so groß wie das eigene Leben des Lesers.

Thomas Antonic arbeitet schon seit über einem Jahrzehnt an seinem Wolfgang Bauer, den er sich deshalb ausgesucht hat, weil dieser trotz Genialität vor und nach dem Tod in die Wahrnehmungs-Ecke gestellt worden ist. Die Theater-Österreicher haben sich lieber um den Loden-trächtigen, letztlich handzahmen Thomas Bernhard geschart, statt den flapsig-frechen, garantiert grausamen Wolfgang Bauer auf die Bühnen zu lassen.

florian gantner, o.m.Die Buchstaben O. M., innig vorgetragen wie ein meditativer Befreiungsrülpser, stellen das Höchste dar, was ein Schriftsteller erreichen kann. Es handelt sich dabei um das sogenannte Opus Magnum, das Großwerk, das letztlich Leben, Literaturtheorie und Literaturbeispiel bündeln soll.

Florian Gantner verwendet dieses germanistische Unwesen O. M., um einen verzagten Schriftsteller zu beschreiben, der wahrscheinlich schon während des Schreibens an sich selbst scheitert. Es besteht kaum Hoffnung, dass ihn Außenstehende oder Bewunderer retten werden.

gertraud klemm, hippocampusJeder Mensch trägt ein Seepferdchen im Hirn spazieren, im Gehirn liegt nämlich der sogenannte Hippocampus. In diesem Denklappen in Gestalt eines Seepferdchens werden Daten verknüpft und zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis hin und her geschaltet. Wer den Hippocampus klug zu verwalten vermag, kann mit Denkgewinn Zeitloses als aktuelle Gegenwart ausgeben und umgekehrt.

Gertraud Klemm versteckt in ihrem grotesken Roman Hippocampus allerhand Literaturtheorien und kleidet sie mit vulgärem Schamott aus. Im Roman rasen Held und Heldin physisch durch den Kunstbetrieb und markieren an vorgeblich wichtigen Schnittstellen zwischen Kunst und Kritik wie wild gewordene Hunde, indem sie Installationen aus Fäkalien und Imitationen von Genitalien hinterlegen.

alessandro baricco, die barbarenZwölf Jahre sind im Literaturbetrieb schon fast eine Epoche, und wenn ein Kulturessay nach zwölf Jahren immer noch aktuell ist, so hat er wohl etwas Epochales an sich.

Alessandro Baricco veröffentlicht 2006 einen Fließ-Essay über die Mutation der Kultur. Der Ausdruck Fließ-Essay beschreibt die Art, wie der Autor mit dem Publikum kommuniziert, es handelt sich um eine Art Fortsetzungstext, der wöchentlich von Neuem beginnt und je nach Lage der Woche mehr oder weniger tagespolitische Ansätze aufweist. Der Leser wird dabei mündlich angesprochen und wie in einem Espresso-Gespräch behutsam durch das Thema geführt. Ein kluger Schachzug besteht dabei in der Einführung von Barbaren, sie sind diffus und allgemein gehalten und können eine Bedrohung von außen sein, aber auch eine augenzwinkernde Selbstdarstellung der Kultur-Insider.

markus bundi, wirklichkeit im nachsitzenIn einer sarkastischen Einschätzung der Germanistik muss man natürlich die Freiheit von Forschung und Lehre loben. Da es sich bei der Germanistik aber in der Hauptsache um eine Wissenschaft handelt, die sich ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, muss man ihr von Zeit zu Zeit Themen der Gesellschaft vorgeben, damit sie den Anschluss an die Welt nicht gänzlich verliert.

In Tirol hat man viel Geld ausgegeben, um einen Einheitsverlag zu forcieren, der die offizielle Politik literarisch unterstützt. Außerdem fließt viel Geld in die Nach- und Vorlässe, die natürlich Renditen abwerfen müssen. Wenn diese Kisten schon einmal herumstehen, sollen sich die Germanisten damit beschäftigen, damit sie nicht auf andere blöde Gedanken kommen.

andrea winkler, die frau auf meiner SchulterGute Romane lösen schon im Titel ein Rätsel oder gar eine Geschichte aus. Die Frau auf meiner Schulter ist vielleicht ein Lebensentwurf, der auf der Erzählerin sitzt wie die Welt auf dem mythologischen Atlas.

Andrea Winkler lässt im Roman „Die Frau auf meiner Schulter“ auf engstem Erzählraum eine Erzählerin zu sich selbst kommen, indem sie sich eine poetisch-therapeutische Auszeit nimmt. In der vernetzten Gesellschaft ist mittlerweile selbst das Aussteigen daraus ritualisiert und zu einem Geschäftsmodell geworden.

gerald murnane, die ebenenAls die Erde noch eine Scheibe ist, ist die Ebene so etwas wie die ganze plane Welt, die man sich vorstellen kann. Später wird aus den Ebenen etwas Geographisches, worin sich vorzüglich Schlachten abwickeln lassen, das Kind spielt mit der Ebene, worin es diverse Figuren aufstellt und schließlich sind wir Literaturmenschen immer hingerissen von den Ebenen. Spielebene, Sprachebene, Metaebene, an manchen Tagen verlieren wir uns beim Lesen darin.

Gerald Murnane wohnt in einem Land, das aus einer einzigen Ebene besteht und laut Lebenslauf hat er diese Fläche nie verlassen, sondern alles, was er braucht, in sie hineinprojiziert. „Die Ebenen“ sind ein rätselhafter Roman, der viel mehr Fragen offen lässt, als er zu Lebzeiten der Lektüre zu beantworten gewillt ist. Der Roman ist eine Kulturgeschichte, ein Schöpfungsbericht, ein Abenteuerroman über die Verteidigung von Besitzständen und ein dramatisch-inniger Versuch, der inneren Peripherie Australiens eine Identität zu geben.

oksana sabuschko, der lange abschied von der angstWenn man schon von Nationalliteratur spricht, die ein Land retten und aufrichten kann, dann müsste man diese Literatur fallweise therapieren und auf Reha schicken, wenn sie krank oder deprimiert ist.

Oksana Sabuschko nimmt einen Terroranschlag in Paris zum Anlass, um anhand von öffentlichen Gefühlen den Zustand der französischen und ukrainischen Angstbewältigung in Diskussion zu stellen. Nach den diversen Revolutionen in der Ukraine stellt die Autorin fest, dass das Kernthema allmählich öffentlich diskutiert wird. Die Kolonialisierung der Ukraine durch die Sowjetunion hat nämlich über Generationen hinweg zu Angst und dem Lefortowo-Syndrom geführt, benannt nach dem berüchtigten Moskauer Gefängnis.

andreas unterweger, grungy nutsGrob umschrieben könnten Grungy Nuts ein Haufen voll dreckiger Nüsse sein, die man vielleicht sogar vom Boden aufgeklaubt hat und die wahrscheinlich weder nach Art noch nach Reifezustand sortiert sind. Ein ideales Bild für eine Erzählform, in der sich herbei-komponierter Zufall und ironische Absicht die Waage halten.

Andreas Unterweger betreibt einen ziemlichen Aufwand an ordnenden Maßnahmen, um das Diffuse, Schrundige, Schmuddelige seiner Erzählungen in eine Fasson zu kriegen. So sind die Erzählungen im ersten Überblick abgeschlossene Ereignisse mit einem festen Figuren-Set, aber bald einmal fransen diese Ereignisse aus und laufen über in die nächste Erzählung, die wie eine Auffang-Schüssel unter den vorhergehenden Text gestellt ist. Was in der einen Erzählung nicht Platz hat, läuft über und wird in der nächsten aufgefangen. Pathetisch könnte man vom Römischen Brunnen sprechen, wo das Wasser ja auch gleichzeitig steht und rinnt.