Gustav Ernst, Tollhaus

Buch-CoverOffensichtlich kann ein Tollhaus überall dort auftreten wo jemand scheinbar unbeobachtet und seltsam enthemmt seine Gedanken ausbreitet. - "Kultur ist, wenn einer allein im Keller sitzt, im Finstern, und sich trotzdem die Hand vorhält beim Gähnen." (42)

Gustav Ernst schickt seine Figuren in die aberwitzigsten Situationen, worin sie letztlich nichts anderes tun, als sich ununterbrochen auf die Eier zu gehen oder sich sonst irgendwie durch penetranten Mono-Dialog an die Grenze des rhetorisch Erträglichen zu katapultieren.

Neben dem schönen Kultursatz über das Gähnen im Keller, den sich zwei ältere Herren ungefragt an den Kopf werfen und so alle guten Manieren unterschreiten, sind es oft unverfängliche Zusammenkünfte im Gastronomie-Bereich oder auf der Parkbank, die beim Zuhörer oder Leser pure Panik auslösen.

Da will jemand neben dem Menü eine Zeitung lesen und wird von einem Mitesser gnadenlos gestört, beim Dösen auf der Parkbank erzählt jemand ungefragt seine Krankheiten, ein anderer behauptet, dass es gar keine frischen Tage gibt, sondern dass sich immer der Vortag wiederholt.

Eine flüchtige Begegnung im Stiegenhaus kann zu einem politischen Exkurs ausarten und selbst ein Kurzauftritt eines überflüssigen Kellners führt zu einer kompletten Irritation.

Natürlich kommt auch die Erotik ganz schön zum Zug, neigt sie doch ungehemmt angewendet leicht dazu, in der Direttissima ins Tollhaus zu führen.

Jemand schwärmt von den schönen Beinen der Frau des Finanzministers und fängt politisch unkorrekt dabei zu sabbern an. Ein Pärchen liegt zur mitternächtlichen Stunde im Bett und geilt sich mit Gedanken auf, wie der andere jeweils stirbt und noch einen Liebesbeweis auf der Zunge hat.

Ich spüre dich noch entfernt. Deine Brust, deine Hände deine Lippen, dann bin ich tot. (78)

In manchen Geschichten beendet wirklich der Tod den Sermon. Unheimlich ist beispielsweise der Kommandant des kaputten U-Bootes "Kursk" auf Sendung, wenn er seiner Besatzung empfiehlt, möglichst nicht zu atmen, während er sie atemlos zum Sterben anfeuert. Dann schließlich geht auch ihm die Luft aus und alle an Bord sind tot.

Gustav Ernst kennt keine Gnade mit seinen Figuren, zwischen Trash, Wahnsinn und philosophisch flacher Erkenntnis müssen sie ihre Auftritte absolvieren. Dabei kommt oft ein österreichischer Ton zum Vorschein, der sich ja dadurch auszeichnet, dass mitten in der glattesten Modulation der Sinn des Satzes zur vollen Geltung kommt.

Die Stücke sind geschmeidig an jede Situation angepasst. Zwischen Groteske, erhabenem Burgtheaterton, Sketch und hingeraunzter Pointe ist letztlich kein Unterschied. Das Tollhaus kann jederzeit zuschlagen!

Gustav Ernst, Tollhaus. Dialoge, Szenen, Kleine Stücke.
Wien: Sonderzahl 2007. 130 Seiten. EUR16,-. ISBN 978-3-85449-283-2.

 

Weiterführende Links:
Sonderzahl-Verlag: Gustav Ernst, Tollhaus
Wikipedia: Gustav Ernst

 

Helmuth Schönauer, 23-12-2007

Bibliographie

AutorIn

Gustav Ernst

Buchtitel

Tollhaus. Dialoge, Szenen, Kleine Stücke.

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Sonderzahl

Seitenzahl

130

Preis in EUR

16,00

ISBN

978-3-85449-283-2

Kurzbiographie AutorIn

Gustav Ernst, geb. 1944 in Wien, lebt in Wien.

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