Peter Härtling, Paul das Hauskind

Buch-Cover

"Mit Ehrerbietung sehen wir wohl auf die Vorfahren, mit Vertrauen auf die Zeitgenossen, versäumen aber leicht, auf die Nachkommen zu blicken", bemerkte schon vor über hundert Jahren der deutsche Historiker und Verleger Theodor Toeche-Mittler.

Auch der zehnjährige Paul Beerbach ist ein Kind, das seine Eltern vor lauter Blick auf die eigene Karriere und Selbstverwirklichung richtig gehend übersehen. Pauls Mutter Tina ist Journalistin und schon längere Zeit in New York tätig und merkt gar nicht, wie sehr ihre überschwänglichen Briefe Paul verletzen.

Hallo, mein Paul! New York ist eine tolle Stadt. Sie würde dir bestimmt gefallen, obwohl es keine Stadt für Kinder ist. Wahrscheinlich hat dir Rudi schon gesagt, dass ich noch längere Zeit bleiben muss. Die Arbeit macht mir Spaß. Ich hoffe sehr, du kommst ohne mich zurecht. (39f)

Aber auch sein Vater Rudi ist als Werbefachmann ständig unterwegs, sodass Paul immer wieder bei "Oma Käthe" übernachten muss, eine kinderliebende Rentnerin, die wie Paul im obersten Geschoß eines Hochhauses lebt, in dem sich alle Bewohner um Paul kümmern und sorgen.

Paul fühlt sich im Abseits und von seinen Eltern vernachlässigt, die nur ihre eigene Arbeit im Kopf haben. Eines Tages kommt Paul mit einer sechs in einem Diktat von der Schule nach Hause kommt und weiß nicht, woher er die geforderte Unterschrift seiner Eltern bekommen soll. Da kommt ihm Dr. Adam Schwarzhaupt zu Hilfe, einem Anwalt im Ruhestand, der Paul einen erklärenden Brief für seine Klassenlehrerin mit gibt. Und so bemerkt Paul, dass er nicht allein ist und sich alle im Haus zur Seite stehen.

Als sein Vater von einem seiner Vorträge nach Hause kommt, erzählt er Paul dass sich seine Mutter und er scheiden lassen wollen.

"Es ist so ...", sein Vater rieb sich das Kinn, "es ist so, dass wir uns auseinandergelebt haben. Tina ist viel unterwegs." "Du auch", fiel ihm Paul ins Wort. "Du sollst wissen, dass wir uns trennen werden." "Was heißt trennen?" "Wir lassen und scheiden." Irgendwas gab in Paul nach. Er spürte, wie er auf einmal innen leer wurde. Gegen diese Leere kam ein Schrei in ihm hoch. Den ließ er raus." (49)

Mit der angekündigten Trennung seiner Eltern sieht sich Paul plötzlich vor dem Nichts und versteckt sich vor seinem Vater im Keller. Als er wieder heraus kommt, hat sein Vater bereits wieder fort müssen und ihm eine Nachricht auf einem Zettel hinterlassen. Als ihm auch seine Mutter die bevorstehende Scheidung über Telefon mitteilt und ihm versichert dass er nicht unter der Trennung seiner Eltern leiden soll, legt er den Hörer auf. Sie soll nicht hören, wie er weint.

So geht es in Pauls Leben immer mehr drunter und drüber und nur die Mitbewohner seines Hauses helfen ihm, mit dem drohenden Chaos fertig zu werden. Doktor Adam, der väterliche Anwalt aus dem Erdgeschoß, nimmt Paul zu sich, um ihm zu erklären, was eine Scheidung für ihn bedeuten wird. Als Oma Käthe einen Kreislaufzusammenbruch hat und ins Krankenhaus kommt, muss Paul umziehen. Er zieht zu Helena, ihrem Vater Eddi und ihrer Ersatzmutter Lucy, die ein Stockwerk unter ihm wohnen.

Und so kämpft Paul mit den Schwierigkeiten des Alltags, wie z.B. einem Elternabend ohne Eltern, einem Wohnungsbrand im Haus, einem Besuch vom Jugendamt und Fahrraddiebstählen, die sich in der Umgebung ihres Hauses ereignen. Als sein Vater aufgrund einer Depression ins Krankenhaus muss und seine Mutter wegen der Scheidung aus New York nach Hause kommt, braucht er die Hilfe seiner Hausfreunde nötiger denn je.

Paul das Hauskind ist die Geschichte eines Kindes einer "modernen" Familie. Vater und Mutter gehen voll auf in ihrer Arbeit. Selbstverwirklichung und beruflicher Erfolg sind angesagt und dabei passt ein Kind nicht wirklich ins Konzept. Peter Härtling stellt ganz unprätentiös die Frage nach der Verantwortung für die Kinder und generell für seine Mitmenschen in unserer modernen Leistungsgesellschaft.

Die Gleichgültigkeit der Eltern gegenüber ihrem Kind steht dabei in starkem Kontrast zu der Hilfsbereitschaft und dem Interesse aller übrigen Hausbewohner für dessen Wohl. Herzensgüte und der Wille zum Erfolg scheinen ähnlich schwer zusammen  passen zu wollen, wie Mitgefühl und Egoismus und so bleibt der Widerhall von Pauls letzter Frage an seine Mutter lange bestehen: "Und um wen kümmerst du dich?"

Ein überaus empfehlenswertes Buch, das die jungen Leserinnen und Leser mit den Problemen unserer Leistungsgesellschaft konfrontiert, in der Eltern die sich trennen und fehlende Zeit für die Kinder immer öfter zum Alltag gehören.

Peter Härtling, Paul das Hauskind, ab 11 Jahren
Weinheim: Verlag Beltz & Gelberg 2011, 184 Seiten, 13,40 EUR, ISBN 978-3-407-79977-7

 

Weiterführende Links:
Verlag Beltz & Gelberg: Peter Härtling, Paul das Hauskind
Wikipedia: Peter Härtling

 

Andreas Markt-Huter, 13-09-2011

Bibliographie

AutorIn

Peter Härtling

Buchtitel

Paul das Hauskind

Erscheinungsort

Weinheim

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Verlag Beltz & Gelberg

Seitenzahl

184

Preis in EUR

13,40

ISBN

978-3-407-79977-7

Lesealter

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Peter Härtling wurde in Chemnitz geboren und wuchs in Sachsen, Mähren, Österreich und Württemberg auf. Er arbeitete bei verschiedenen Zeitschriften und war literarischer Redakteur und Mitherausgeber, Cheflektor und Geschäftsführer des S. Fischer Verlages. Er ist verheiratet, hat vier Kinder und lebt heute als freier Schriftsteller in Walldorf bei Frankfurt am Main.

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