Monika Helfer / Michael Köhlmeier, Rosie und der Urgroßvater

"Geschichten haben meist selber eine Geschichte. Wir fantasieren uns die Welt. Wir wollen verstehen, wo wir selber in ihr vorkommen. Wir wollen verstehen, was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen können." (133)

Rosie, ein junges jüdisches Mädchen, lebt mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter in einem reinen Frauenhaushalt in New York. Sie liebt es ihren Urgroßvater in Williamsburg, auf der anderen Seite des East River zu besuchen und seinen Geschichten aus der Vergangenheit und dem weit entfernten Ort Hohenems in Vorarlberg zu lauschen, von wo er vor langer Zeit nach Amerika ausgewandert war.

Während Rosies Mutter ihren Großvater als mürrisch empfindet und ihre Großmutter mit ihrem Vater keinen Kontakt mehr pflegt, besteht zwischen Rosie und ihrem Urgroßvater eine innige Beziehung. Jeden Mittwochnachmittag verbringt sie bei ihm und wendet sämtliche Tricks an, um den alten Mann zum Erzählen seiner Geschichten zu bewegen. Und immer wieder ist es eine Reise in die Vergangenheit in das Leben der kleinen jüdischen Gemeinde des Vorarlberger Städtchen Hohenems?.

Die Geschichten sind stets mit viel Witz garniert und stecken voller Überraschungen, mal sind sie heiter, mal traurig und manchmal beides zusammen. Sie beschreiben das Leben von Menschen, die meist nur geduldet, aber selten wirklich willkommen waren und die dennoch nie den Willen und die Freude am Leben verloren haben. In ihren Alltagsgeschichten wird gerne ein wenig geflunkert und auch die schlimmen Seiten des Lebens werden ein wenig beschönigt und damit erträglicher und lehrreicher gemacht.

Am Anfang steht "Die Geschichte von Reikle und den Tieren im Winter", die zu einer Zeit spielte, als die ersten Juden von Graf Kaspar nach Hohenems geholt wurden. Damals passierte in kalten Wintertagen das Wunder, dass Reikle sämtliche Tiere auf seinen Bauernhof in seinem Haus vor der Kälte in Schutz brachte und die Tiere während dieser Zeit in absolutem Frieden zusammen lebten. Die Katze kümmerte sich um die Mäuse und auch sonst fügte kein Tier dem anderen ein Leid zu.

Ebenso unterhaltsam sind die Geschichten von "Sophie Meyer, die gelogen hat" oder von "Samuel Menz, der wenig gefragt und viel getan hat." Der Urgroßvater erzählt aber auch seine eigene Geschichte, "Die Geschichte von Robert, Emma und Julius", seiner engen Freundschaft mit Robert und dessen Freundin Emma, in die er selbst verliebt gewesen war. Nachdem Julius während der NS-Herrschaft aus Österreich flüchten konnte, traf er in New York wieder auf seine alte Bekannte Emma, die er später geheiratet hat. So erfährt Rosie wie sich ihr Urgroßvater Julius und ihre Urgroßmutter Emma kennen gelernt hatten.

Rosie und ihr Urgroßvater ist ein Buch randvoll mit Geschichten, mit Geschichten von der Beziehung zwischen einem jungen und einem alten Menschen, Geschichten aus der Gegenwart und Vergangenheit, Geschichten von Vertrauen und Liebe, Respekt und Achtung. Dabei sind die Geschichten die Monika Helfer und Michael Köhlmeier erzählen nie belehrend sondern immer berührend. Sie dringen tief ins Herz der Leserinnen und Leser und machen eine tiefe Sehnsucht frei, die Sehnsucht nach den Geschichten der eigenen Eltern und Großeltern, nach der Reise in die eigene Vergangenheit und nach Geborgenheit in der Gegenwart. Ein wunderschönes Leseerlebnis für Jung und Alt.

Monika Helfer / Michael Köhlmeier, Rosie und der Urgroßvater. Ill. v. Barbara Steinitz, ab 10 Jahren
München: Hanser-Verlag 2010, 144 Seiten, 15,40 EUR, ISBN 978-3-446-23587-8

Weiterführende Links:
Hanser-Verlag: Monika Helfer / Michael Köhlmeier, Rosie und der Urgroßvater
Wikipedia: Monika Helfer
Wikipedia: Michael Köhlmeier
Homepage: Barbara Steinitz

Andreas Markt-Huter, 21-03-2011