Guus Kuijer, Das Buch von allen Dingen

Buch-Cover

"Fürchterlich ist die Frömmigkeit der Phantasielosen. Als Jesus die geistig Armen selig pries, meinte er die Einfältigen, nicht die Handgreiflichen!", erklärte der deutsche Politiker Walther Rathenau vor mehr als 100 Jahren.

Auch Guus Kuijers Buch von allen Dingen handelt von Gewalt, von Gewalt und Erziehung im Namen Gottes und vom beginnenden Aufstand gegen die patriarchale Gesellschaft der Unterdrückung.

Zu Beginn meldet sich der Autor selbst zu Wort und erzählt wie das Buch entstanden ist, von seiner Begegnung mit einem Herrn Thomas Klopper, der ihm das in ein Schulheft geschriebene Buch von allen Dingen zum Lesen gegeben hatte.

Thomas ist neun Jahre alt und hat die Gabe, die Dinge mit eigenen Augen zu betrachten. Zu Hause schreibt er seine Erlebnisse in ein Heft mit dem Namen "Das Buch von allen Dingen". Seine Mutter ist eine liebevolle einfühlsame Frau, während sein gehasster Vater, ein tiefreligiöser Mensch mit starren Prinzipien und ohne jeden Funken Humor, seine Familie fest im Griff hat. Zu seiner Schwester Margot, die aufs Gymnasium geht, hat Thomas nur wenig Beziehung.

Thomas lernt eines Tages Elisa kennen, ein 16-jähriges Mädchen mit einem Lederbein und nur einem Finger an einer Hand. Für ihn ist Elisa jedoch das schönste Mädchen der Welt, das versteht was er sieht und das er einmal heiraten möchte.

Während einer Kirchenmesse singt Thomas statt des richtigen Liedtextes vor Langeweile und zum Spaß "Lahmer Ziegenherr, die Arme, die mach uns gesünder". Als sein Vater Thomas zu Hause zur Rede stellt, wirft sich seine Mutter schützend vor ihren Sohn.

Aber Mutter zog Thomas weiter vom Tisch weg und legte ihm einen Arm um die Schultern. Da schnellte Vaters Hand plötzlich vor und landete klatschend auf Mutters Wange. Mutter taumelte zurück und ließ Thomas los. Die Engel im Himmel schlugen die Hände vors Gesicht und schluchzten, denn das tun sie immer, wenn ein Mann seine Frau schlägt. (14)

Thomas hasst seinen Vater, der ihn mit dem Holzlöffel verprügelt und anschließend zwingt 100mal den Satz "Barmherziger Herr, erbarme dich über uns Sünder" aufzusagen.

Die Nachbarin Frau Van Ammersfoort, die von den Kindern als Hexe betrachtet wird, ahnt von den schrecklichen Verhältnissen in Thomas Familie und beginnt sich des Jungens anzunehmen. Sie lädt ihn zu sich nach Hause ein und eröffnet ihm mit ihren Büchern eine neue Welt. Ihr Mann war als Widerstandskämpfer im Krieg erschossen worden und sie selbst hatte eine Herz für die Schwachen und Unterdrückten. Eines Tages schickt sie Thomas Vater einen Brief mit nur einem Satz: "Ein Mann, der seine Frau schlägt, entehrt sich selbst." (34)

Thomas versteckt den Brief, da er sich vor dem Zorn seines Vaters fürchtet. Dennoch beginnen die Verhältnisse zu Hause zu kulminieren. Thomas Vater liest aus der Bibel von Moses und den sieben Plagen, die Gott über die Ägypter hereinbrechen ließ, als er bemerkt, dass das Wasser im Aquarium rotgefärbt ist. Thomas Mutter will das Wasser sofort austauschen um die Fische zu retten, aber sein Vater verbietet ihr das, um dem vermeintlichen Täter Thomas eine Lektion zu erteilen. Als seine Mutter sich dennoch daran macht die Fische zu retten, wird sie von ihrem Mann in einem Zornanfalle fürchterlich verprügelt und getreten. Unterstützt von Frau Ammersfoort beginnen sich die Familienmitglieder gegen den Patriarchen zu erheben.

Das Buch von allen Dingen setzt sich auf einfühlsam literarische Art mit dem schwierigen Thema Gewalt in der Familie auseinander. Kuijer zeigt, wie ein phantasiebegabtes Kind unter den Gewaltausbrüchen gegen ihn und seine Mutter zu zerbrechen droht und wie jedes Familienmitglied seine eigenen Strategien entwickelt, um mit den Zornanfälle, die wie eine Naturkatastrophe über die Kinder hereinbrechen, fertig zu werden.

Erst als eine Außenstehende das Schweigen der Familie durchbricht, gelingt es den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen und dem Familienpatriarchen seine Macht zu entreißen. Die Geschichte vom Pharao, der sich gegen den Auszug des jüdischen Volkes stellt, wird so zur Metapher für die Unterdrückung und Befreiung eigene Familie.

Kuijers Roman, der zentrale Phänomene wie Gewalt in der Familie, Zivilcourage, Glaube und Phantasie thematisiert, ist sicherlich keine leichte Kost für Kinder und Jugendliche. Dennoch überzeugt er durch die Leichtigkeit, mit der sich der Autor dieser schwierigen Fragen annimmt. Ein überaus empfehlenswertes Jugendbuch, das aber auch Erwachsene berühren und ansprechen wird.

Guus Kuijer, Das Buch von allen Dingen. Übers. v. Sylke Hachmeister, ab 12 Jahren
Hamburg: Oetinger-Taschenbuch 2011, 96 Seiten, 7,20 EUR, ISBN 978-3-8415-0041-0

 

Weiterführende Links:
Oetinger-Verlag: Guus Kuijer, Das Buch von allen Dingen
Wikipedia: Guus Kuijer

 

Andreas Markt-Huter, 30-05-2011

 

 

Bibliographie

AutorIn

Guus Kuijer

Buchtitel

Das Buch von allen Dingen

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Oetinger-Taschenbuch

Illustration

Sylke Hachmeister

Seitenzahl

96

Preis in EUR

7,20

ISBN

978-3-8415-0041-0

Lesealter

Altersangabe Verlag

12

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Guus Kuijer wurde in Amsterdam geboren und arbeitete zunächst als Lehrer. Seit 1973 ist er als freier Schriftsteller tätig. Für seine Kinder- und Jugendbücher wurde er international vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem Niederländischen Staatspreis für sein Gesamtwerk und bereits zweimal mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis.

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