Tiroler Brauchtum: Der Frauendreißigst

Zu den wichtigsten kirchlichen Festzeiten des Jahres zählt der "Frauendreißigst" oder die sogenannten "Dreißgen", wie die Zeit zwischen "Mariae Himmelfahrt"  und Maria Geburt genannt wird. Eine besondere Aufmerksamkeit wurde während dieser Zeit schon in früheren Zeiten den verschiedenen Blumen und Kräutern gewidmet.

Im Jahr 1909 erschien ein Buch mit dem Titel "Tiroler Volksleben. Ein Beitrag zur deutschen Volks- und Sittenkunde." Der Verfasser, Dr. Ludwig von Hörmann, hatte mehr als 50 Jahre damit verbracht Sitten, Bräuche und Lebensgewohnheiten in Tirol festzuhalten.

Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich das traditionelle Brauchtum in den einzelnen Tiroler Tälern mit großer Geschwindigkeit zu verändern. Hörmann erkannte die unwiederbringlichen Veränderungen im Brauchtum und dokumentierte unter anderem das Alltagsleben der Gebirgsbauern wie es sich im Wechsel der Jahreszeiten gestaltete, ihre Arbeit, Erholung u.a. und gelangte dabei bis in die entlegensten Tiroler Täler.

Das Buch zählt mehr als 500 Seiten und behandelt das bäuerliche Fest- und Arbeitsjahr, das Familienleben und einzelne Gestalten und Bilder aus dem Dorfleben. Im Internet steht Ihnen unter "sagen.at" das gesamte Buch frei zum Lesen zur Verfügung.

Eine der wichtigsten bäuerlichen Festzeiten in Tirol war der sogenannte "Frauendreißigst", der auch "Dreißgen" genannt wurde. Damit wurde die Zeit zwischen  dem "hohen" oder "großen Frauentag", das ist "Mariae Himmelfahrt" am 15. August und dem "kleinen Frauentag", das ist Mariae Geburt am 8. September. Während dieser Zeit glaubten die Menschen, dass ein besonderer Segen auf den Tieren und Pflanzen ruhte.

 
Gesammelt wurden die Kräuter und Pflanzen für die Zubereitung von Tee und Heilsalben in Tirol vor allem zwischen "Mariae Himmelfahrt" und "Mariae Geburt". Foto: Christan Redl, Tibs-Bilderdatenbank

 

In dieser Zeit wurden vorzüglich all jene Pflanzen und Kräuter gesammelt, die für die Zubereitung von Tee und Medizinen benötigte. Ludwig von Hörmann berichtete in seinem Tiroler Volksleben:

Daher ist es die angelegentlichste Sorge jeder Bäuerin, einen oder mehrere solche Sträuße zu sammeln oder durch Kinder und Dirnen sammeln zu lassen. Dazu gehören außer jenen Blumen und Kräutern, die man zu Tee und Medizinen braucht, noch eine gewisse Anzahl anderer, welche aus irgend einem Grunde von altersher im Gerüche der Heiligkeit stehen.

Es sind vor allem Himmelbrand, Frauenschuh, Wegwart, Mohn, brennende Lieb, Rauten, Johanniskraut, Wermut, Wohlgemut, Mutterkraut, Sinngrün, Tausendguldenkraut und das heilige Karbendelkraut (thymus serpyllum), von dem die Legende erzählt, daß sich die Muttergottes, als sie "übers Gebirg" zu Elisabeth ging, darauf niedersetzte, weswegen die Pflanze mit dem "Schreibnamen" Marias Kar-ben-del benannt worden sei. Auch Donnerkugeln (Stechapfel) und "Baslgoam" (basilicum), Edelweiß, Sonnenblumen, gelbe Ringelblumen und dergleichen werden dazugebunden.
Ludwig von Hörmann: Der Frauendreißigst (sagen.at)

Hörmanns Aufzeichnungen zur Tiroler Volkskultur sind aber auch ein Zeugnis für den Aberglauben, der in Tirol noch weit verbreitetet war. 

[...] Dafür hatten sie früher reichlich Gelegenheit, die berühmten "Dreißgen-Höppinnen", das sind die während dieser Zeit unterkommenden Kröten zu fangen, wobei man besonders einer gefleckten Art nachstellte. Man spießte sie bei lebendigem Leibe auf und ließ sie auf dem Dache von der Sonne ausdörren.

Dann nagelte man sie an die Türen der Ställe und Sennhütten als Schutz gegen Hexerei; auch anderen abergläubischen Unfug trieb man mit ihnen, wie wir gleich hören werden. Zu dem Zwecke praktizierte man sie heimlich sogar in die "Weihbüschel", um durch die Einsegnung ihre Wirkung zu verstärken. Doch geschieht letzteres wohl selten mehr. Das Volk scheint selbst zu fühlen, daß es sich damit zu tief in das finstere Gebiet des Aberglaubens verirrt [... ]

 
Für Kröten und Wiesel war es in Tirol in der Zeit um den "Frauendreißigst" angeraten, sich möglichst nicht blicken zu lassen, wenn ihnen ihr Leben lieb war. Foto: Wikipedia

 

Zu den Tieren, denen die Dreißgenzeit besonderen Wert verleiht, zählt auch das Wiesel oder Harmele. Es ist nach der Volksmeinung eines der gefährlichsten Tiere, da es den Menschen nicht nur giftig "anbläst" und "anpfeift", sondern ihm wie der Blitz mitten durch den Leib fährt. In der heiligen Dreißgenzeit aber verliert es sein Gift und läßt sich gefahrlos einfangen und ausbalgen. Fell und Fett gelten als gesuchtes Heilmittel für Kühe, denen man das kranke Euter damit einreibt.

Sehr geschätzt sind endlich, wie jede Hausfrau weiß, die sogenannten "Dreißgeneier", das sind die während dieser Zeit gelegten Eier. Man rühmt ihnen nach, daß sie nicht faulen und behält sie deshalb für den Winter, in dem die Hennen weniger Eier legen, mit dem "Gupf" in Sand gesteckt auf. Aus alledem sieht man, welch wichtige Zeit die Dreißgen für Menschen und Vieh sind.
Ludwig von Hörmann: Der Frauendreißigst (sagen.at)

 

Weiterführende Links:
sagen.at: Ludwig von Hörmann
sagen.at: Der Frauendreißigst

 

Andreas Markt-Huter, 15-08-2005

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