Der Tiroler Winter im 19. Jahrhundert - Teil 1

Der Winter in Tirol präsentiert sich in den letzten Jahren von seinen unterschiedlichsten Seiten. Zeigt er sich einmal mit tiefverschneiten Landschaften von seiner schönsten Seite, schürt ein anderes mal ein zögerlicher Winterbeginn oder fehlender Schnee sogleich Ängste vor einer globalen Erwärmung. 

Ob Tirol in 100 Jahren noch ein Zentrum des Wintersports sein wird, bleibt unsicher und lässt die Wissenschaft noch lange rätseln. Im folgenden soll aber der etwas leichter zu beantwortenden Frage nachgegangen werden, wie sich die Winterszeit in Tirol vor 100 Jahren dargestellt hat.

Winterbild

Der Kulturhistoriker Ludwig von Hörmann dokumentiert in seinen Arbeiten nicht nur das Brauchtum wie es vor mehr als 100 Jahren in Tirol gepflegt worden war, sondern zeichnet auch ein Bild des Alltagslebens und der Umwelt in einer Zeit, als sich Tirol noch weitgehend als bäuerliches Land präsentierte. In seinem 1899 erschienen Buch Das Tiroler Bauernjahr, Jahreszeiten in den Alpen  schildert er im Abschnitt "Der Winter in den Alpen" die Schönheiten, Arbeiten, Gefahren aber auch die zahlreichen Belustigungen die es in der Tirol zu dieser Jahreszeit gab.

[...] wer die Alpen nur in ihrem sommerlichen Schmucke gesehen hat und nicht auch zur Winterszeit in ihrer erhabenen Vereinsamung, der kennt nur die eine Hälfte dieses riesenartigen Wunderbaues.

Der eigentliche Winter tritt gewöhnlich im spätern Advent, gegen Weihnachten hin ein. Dann erst hat der kalte Herrscher den strahlenden Eispanzer dicht und fest um alle Glieder des Riesenleibes geschlossen und läßt seine glitzernde und funkelnde Herrlichkeit in Milliarden Diamanten und in tausend rotglühenden Kronen sehen. Es ist ein Bild von wunderbarer, fast erdrückender Großartigkeit, welches ein Längental, z, B. das Inntal, an einem heiteren Dezember- oder Jännertage bietet, ergreifend durch seine Erhabenheit und doch nicht jener Zartheit und Weichheit entbehrend, die den Eindruck mildern.

[...] Der Wald im Winter! Ein eigenes Gefühl überkommt uns, wenn wir diese sonst so heiteren, von sommerlichem Vogelsang und Wipfelrauschen belebten Hallen im Winterkleide sehen müssen. Es ist ein Bild der Schwermut! Mächtige Schneemassen überlasten die immergrünen Fichtenäste und drücken sie nieder, während die Birken nebenan zarten Glasbäumchen gleichen. Wie durch einen Bannspruch eingeschläfert steht regungslos Baum an Baum.


Der Wald ist im Winter ein Ort der Ruhe, wo sich alles unter einer dicken
Schneedecke verbirgt.
Foto: Tibs-Bilderdatenbank, Martin Schwarz

 

Kein Laut ringsum; nur zeitweilig hört man das heisere Krächzen eines Raben oder den Pfiff einer Meise, die von Ast zu Ast hüpft und uns mit einer Miniaturlawine von Schneestaub überschüttet. - Wo sind alle die lauschigen Plätzchen, all die weichen Moospolster und Heidelbeerhügel mit den geschwätzigen Wässerlein, die da Verstecken spielten? Alles beschwert und überbettet von den weichen Wellen der Schneedecke, nur hie und da unterbrochen von einer Hasenfährte, die sich unter den Tannenpfotschen verliert.
aus: Ludwig von Hörmann, Das Tiroler Bauernjahr: Winterbild


Winterleben und Winterarbeit

Wie gestaltete sich das Leben der Tiroler Bevölkerung, die im 19. Jahrhundert noch zu einer überwiegenden Mehrheit in der Landwirtschaft tätig war:

Vom Winterleben des Alpenbauern haben die wenigsten Städter eine richtige Vorstellung. Gewohnt, denselben nur als Staffage von Wiese und Ackerfeld zu sehen, denkt man sich die Dorfbewohner wie Murmeltiere beschäftigungslos in den verschneiten Gehöften eingeschlossen, weil man eben nicht begreifen kann, was es sonst zu tun geben könne.

Und dies ist auch zum Teil wahr.

Das Sprichwort: Wenn der Bauer nicht muß, rührt er weder Hand noch Fuß, gilt nicht nur überhaupt vom Älpler, sondern vorzüglich von dessen Tätigkeit im Winter. Das Vieh ist glücklich von der Alpe zurück; - Weizen, Roggen, Gerste und andere Feldfrüchte ruhen sicher in Kornkiste und Keller, Heu und Grummet füllen, festgetreten, in abgesonderten Stücken den Tennen; der Türken (Mais) überkleidet in goldgelben Reihen die Sonnenseite des Hauses bis unter den Giebel und schließt sich nach unten an das zierlich aufgeschichtete Brennholz, welches das Erdgeschoß des Gehöftes umrahmt und nur die Fensterlücken frei läßt, damit die Bewohner den Abend-Rosenkranz hinausbeten und nebenbei vorüberziehende Herrenleut auslachen können. Trotzdem wäre es irrig, zu glauben, der Bauer liege den lieben langen Tag auf dem Lotterbett und lasse den Herrgott einen guten Mann sein; aber im Hinblick auf das Schinden und Rackern im Langes, Sommer und Herbst ist allerdings der Winter seine Ruhezeit.


Doppelschlitten verwendeten die Bergbauern hauptsächlich
zur Abfuhr von Langholz, einfache Schlitten zum Transport von
Personen und sonstigen Wirtschaftgütern.

Quelle: Landwirtschaftliches Museum

Dass die Tiroler vor mehr als 100 Jahren aber auch im Winter nicht ganz faul waren, zeigen die zahlreichen Tätigkeiten und Arbeiten die von den Bauern in dieser Jahreszeit verrichtet werden mussten. Ludwig Hörmann erwähnt dazu das Füttern, Tränken und Melken der Kühe was sich im Winter noch mühsamer gestaltet hat. Weiter Arbeiten sind das Mistschinden?, das ist das Hinausführen des Düngers auf die beschneiten Wiesen und Äcker, das Knollenziehen, hier wird der Alpendünger auf die tiefer liegenden Dungwiesen gebracht, und das Türkenabmachen oder ?abribbeln?.

Zu den schwierigsten und gefährlichsten Arbeiten des Winters zählte aber zweifellos die Holzarbeit, konnten die in der schneefreien Jahreszeit gefällten Bäume doch erst im Winter mit Schlitten weitertransportiert werden:

[...] Das erste ist nun, daß man die Schneedecke von den Streu und Holzhaufen entfernt, dann wird die Last auf den Schlitten mit Stricken befestigt und an den steilen Rand gezogen. Hierauf stellen sich die Burschen vorn zwischen die Kufen - noch ein tüchtiger Schluck aus der Schnapsflasche - und nun geht die grausige Fahrt los.

Pfeilschnell schießen die beschwerten Schlitten über die abschüssigen Lehnen, Schneestaub umwirbelt wolkengleich die Lenker, die mit zurückgebeugtem Leib, die Füße fest angespreizt, mit Anstrengung aller Kräfte das dahinsausende Gefährt in der Richtung zu halten suchen. Wehe, wenn bei einem Rieb (Biegung) der lenkende Fuß versagt oder die Hemmkraft der Sperrketten und Schuhe nicht mehr ausreicht, um die nachdrängende schwere Last zu schwächen, oder wenn gar beim Zusammenmünden zweier Risen (Rünste) ein zweiter Schlitten vom danebenliegenden Bezirk dahergesaust kommt. Freilich schallt der laute, langgedehnte Warnungsruf: O - Weg! (aus dem Weg), aber oft kommt er zu spät und zerschmettert liegen Schlitten und Lenker unter den Holztrümmern. Unzählige Marterln geben von derartigen Unglücksfällen beim Streu- und Holzziehen Kunde.
aus: Ludwig von Hörmann, Das Tiroler Bauernjahr: Winterleben und Winterarbeit

 

>> Der Tiroler Winter  im 19. Jahrhundert - Teil 2

 

 

Andreas Markt-Huter, 27-12-2007
aktualisiert: 19-12-2011

 

Weiterführende Links:
sagen.at: Ludwig von Hörmann
Sagen.at: Ludwig von Hörmann, Das Tiroler Bauernjahr, Jahreszeiten in den Alpen, Innsbruck 1899

 

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