Bosko Tomasevic: Ein literarisches Leben zwischen den Welten - 1

Der Innsbrucker Wissenschaftler und Schriftsteller Bosko Tomasevic blickt auf ein bewegtes Leben zurück blicken. Nicht nur, dass er der erste Stadtschreiber Innsbrucks war, er hatte auch persönlichen Kontakt zu europäischen Geistesgrößen wie Hans-Georg Gadamer, Jacques Derrida, George Steiner und Gilles Deleuze. In Ex-Jugoslawien war er federführend für die Rezeption von Autoren wie Martin Heidegger und Georg Trakl mitverantwortlich.

Seit knapp zehn Jahren lebt der in Serbien geborene Wissenschaftler und Schriftsteller Bosko Tomasevic bereits in Innsbruck. Geboren wurde er 1947 in der Stadt Becej in der Vojvodina, nahe der ungarischen Grenze. In der mehrsprachigen Region in Serbien leben Ungarn, Tschechen, Juden, Slowaken, Rumänen und Serben schon seit Jahrhunderten zusammen. Das Zusammenleben mit verschiedenen Kulturen und Religionen war für Tomasevic nichts Fremdes und so hat Westeuropa mit seinen unterschiedlichen Kulturen immer schon eine Faszination auf den Literaturwissenschaftler ausgeübt.

Als schicksalhaft erwies sich für ihn, dass sein Vater ein hochrangiger Offizier im Königreich Jugoslawien gewesen war, weshalb seine Familie, nach der Machtergreifung der Kommunisten unter Tito in Jugoslawien 1945, wie alle Nicht-Kommunisten, an den gesellschaftlichen Rand gedrängt wurde. Bereits in der Schule musste er bemerken, dass zwischen Kindern kommunistischer Eltern und Kindern nichtkommunistischer Eltern Unterschiede gemacht wurden. Spätestens nach Abschluss des Studiums der Vergleichenden Literaturwissenschaft an der philologischen Fakultät und am Institut für Weltliteratur und Literaturtheorie in Belgrad wird ihm klar, dass für ihn aufgrund seiner antikommunistischen Weltanschauung in Jugoslawien keine Karrierechancen und beruflichen Aussichten offen stehen.

Er beschließt seine Zukunft im Westen zu suchen und beginnt nach 1980 als Fellow im Rahmen einer Forschungsarbeit an der Philosophischen Fakultät der Universität in Freiburg im Breisgau. Sein Interesse gilt der zeitgenössischen Literatur, Literaturwissenschaft sowie der postmodernen Literaturtheorie und Philosophie.

 Die Kleinstadt Becej mit ihren etwa 45.000 Einwohnern liegt in der Vojvodina, am linken Ufer des Flusses Teiss. Im 19. Jahrhundert gehörte es Österreichisch-Ungarische Monarchie, wovon die Architektur noch ein Zeugnis gibt. (Links: zeitgenössische Aufnahme der Stadt, rechts: Bild um die Jahrhundertwende)

 

1984 geht er auf Einladung Prof. Friedrich-Wilhelm v. Herrmanns an die Universität Freiburg. Tomasevic zählte im damaligen Jugoslawien zu den ersten Wissenschaftlern, die sich mit dem Denken, Dichten, der Literatur und der Philosophie Martin Heideggers auseinander gesetzt hatten und spielte eine Wegbereiterrolle für das Heideggersche Denken im ehemaligen Jugoslawien. In Freiburg hält er Vorträge über das Denken und Dichten Martin Heideggers und dessen Verhältnis zu Dichtern wie Rilke, Mölke, George und Celan.

1987/1988 unterrichtet Prof. Tomasevic Vergleichende Literaturwissenschaft, Slawistik und Germanistik an der Universität in Göttingen und wechselt 1990 nach Frankreich, an die Universität in Nancy, wo er insgesamt sechs Jahre lang bleiben wird.

Im Jahr 1997 trifft er während eines Symposiums über Wittgenstein die Innsbrucker Professoren Allan Janik und Walter Methlagl vom Innsbrucker Brenner-Archiv, die ihn aufgrund seiner bisherigen Arbeiten einladen, im Rahmen eines Forschungsstipendiums nach Innsbruck zu kommen. 1999 wird er zum ersten Stadtschreiber in Innsbruck bestellt. Während dieser Zeit zwischen 1999 ? 2000 verfasst er seinen Roman: Verspäteter Bericht an eine Akademie.

 

Interview Teil 1

 


Lesen in Tirol: Prof. Tomasevic, Sie haben im Jahr 1999 Tiroler Geschichte geschrieben, als Sie zum ersten Innsbrucker Stadtschreiber ernannt worden sind. Während dieser Zeit haben Sie einen Roman verfasst, in dem sie den Krieg in Ex-Jugoslawien thematisieren. Was ist der zentrale Inhalt dieser komplexen Literatur?

Bosko Tomasevic: Ich habe mich für meine Zeit als Stadtschreiber dafür entschieden, einen Roman zu schreiben. Der Titel Verspäteter Bericht an eine Akademie ist eine Anspielung auf ein Memorandum, das die serbische Akademie der Wissenschaften und Künste 1987 publiziert hat. Grundtenor des Textes war, dass die Serben bereits in Jugoslawien, also während der Zeit des Kommunismus, ein Volk zweiter Klasse gewesen seien, das nur bestraft werde, während die Kroaten und Slowenen weiterhin bevorzugt würden. Dieses Memorandum und die Unterstützung serbischer Intellektueller haben mitgeholfen, den durch die Politik Slobodan Milosevics? geschürten Nationalismus in Serbien zu entfachen.

Mein Roman ist keine Propagandaschrift, sondern ein postmodernen Schlüsselroman der für Leute, die keine Erfahrung im Umgang mit postmoderner Literatur haben, sicherlich nicht ganz leicht verständlich ist. Es finden sich im Roman zahlreiche Zitate und Gespräche über Literatur und über die Ohnmacht der Literatur in Kriegszeiten wieder.

Das Buch ist nur in deutscher Sprache erschienen, weshalb die Reaktionen in Serbien zu Beginn noch ausgeblieben sind. Erst als der Inhalt meines Buches völlig falsch interpretiert nach Serbien gelangte, wurde ich politisch angegriffen und als Feind des serbischen Volkes beschimpft. Eine Konsequenz die ich daraus zog, war, dass ich nicht mehr daran denken konnte, als Professor nach Serbien zurück zu kehren und ich beschloss, endgültig hier in Innsbruck zu bleiben.

In Österreich und der Schweiz hingegen habe ich für meinen Roman eigentlich nur gute Rezensionen erhalten, wie z.B. von Herrn Schönauer, oder in der Neuen Zürcher Zeitung dem Standard, der Presse, der Furche, der Salzburger Zeitschrift Literatur und Kritik und in Ix-Libris.

Lesen in Tirol: Die Art und Weise wie der Vielvölkerstaat Jugoslawien zusammen gebrochen ist, kam für viele überraschend.

Bosko Tomasevic: Meiner Meinung nach lag der Reichtum Jugoslawiens in der Verschiedenheit der Kulturen und Sprachen. Ich möchte micr nun nicht widersprechen. Die Zerstörung von Ex-Jugoslawien wurde von Kroaten, Serben und Bosniaken gemeinsam forciert. Jedes Volk hatte seine politischen Führer, die den Nationalismus in den Mittelpunkt ihrer Politik stellten. In Serbien war das Slobodan Milosevic, in Kroatien Franjo Tudjman und in Bosnien Alija Izetbegovic.


Bosko Tomasevic war zwischen 1999 - 2000 erster Innsbrucker Stadtschreiber und verfasste in dieser Zeit seinen Roman Verspäteter Bericht an eine Akademie in dem er sich mit dem Krieg in Ex-Jugoslawien auseinander setzt. Foto: Markt-Huter

In Kroatien und Bosnien bestand bereits vor dem Krieg eine starke nationalistische Bewegung. Vor allem in Bosnien, aber auch in Kroatien wurden bereits vor dem Krieg Waffen gesammelt und gekauft. Europa hat mitgeholfen Jugoslawien zu schaffen und es auch wieder zu zerstören. Es ist wichtig festzuhalten, dass die Zerstörung Jugoslawiens nicht nur von innen, sondern gleichzeitig auch von außen erfolgte.

Erich Schmidt-Eenboom beschreibt das sehr gut in seinem Buch Der Schattenkrieger. Klaus Kinkel und der BND?. In dem Buch, das bereits 1995 publiziert wurde, versucht er nachzuweisen, dass die Zerstörung Jugoslawiens mit einer von außen unterstützten und geleiteten Untergrundbewegung und mit Hilfe vor allem kroatischer Nationalisten bereits ab dem Jahr 1962 betrieben worden sei. (vgl. Schmidt Eenboom, Kosovokrieg und Interesse)

Bezeichnend dafür sind z.B. dokumentierte Ereignisse wie 1991, als kroatische militärische Kräfte auf die eigene Bevölkerung schossen, um einen Angriff von Serben oder Muslimen vorzutäuschen. Ziel war es, den Nationalismus in Kroatien zu schüren. Aber auch der Krieg in Bosnien begann 1992 damit, dass Muslime auf die eigene Bevölkerung geschossen hatten.

Lesen in Tirol: Diesen Sommer kam es aufgrund der geplanten Verleihung des Heinrich-Heine-Preises durch die Stadt Düsseldorf an den österreichischen Autor Peter Handke zu einem Eklat im Düsseldorfer Stadtsenat, der auch in den deutschen und österreichischen Medien für eine aufgeregte Diskussion gesorgt hat. Handke wurde dabei vorgeworfen, sich als Dichter des großserbischen Reichs? betätigt zu haben. Wie beurteilen Sie Handkes literarische Auseinandersetzung mit Serbien?

Bosko Tomasevic: Zunächst möchte ich vorausschicken, dass ich meine Haltung zum Krieg und zum serbischen Nationalismus in meinem Buch Verspäteter Bericht an eine Akademie darlege, wo ich gegen den serbischen Nationalismus ankämpfe. In den sechs Büchern von Herrn Handke seit 1996 sehe ich einen besonderen Schlüssel, wo er sich engagiert und ehrlich mit dem Krieg in Ex-Jugoslawien auseinandersetzt.

In den westlichen Medien wurde die ganze Schuld am und im Krieg allein den Serben angelastet. Peter Handke versuchte, einer allgemein verbreiteten Schwarz-Weiß-Malerei entgegen zu treten, was ihm - meiner Meinung nach - sehr gut gelungen ist. Er hat dabei etwas gemacht, was niemand von einem westlichen Intellektuellen erwartet hätte.

Ähnlich - wie Lord Byron in Griechenland ? hat er dagegen gekämpft, dass die Wahrheit auf die Darstellung in Schwarz-Weiß reduziert wird. Es ließ sich auch während der Kriegsverbrecherprozesse in Den Haag beobachten, dass bei vergleichbaren Verbrechen für Kroaten, Muslime oder Serben verschiedene Urteile verhängt wurden. Vorurteile gegenüber Serben haben eine lange Tradition, die unter anderem auch auf den Beginn des 1. Weltkriegs mit der Ermordung des österreichischen Thronfolgerpaars im Jahr 1914 in Sarajevo und zurückgehen.

Lesen in Tirol: In der Auseinandersetzung um Handke, kam zunehmend auch die Rolle der Berichterstattung über den Jugoslawienkrieg in den Medien in das Kreuzfeuer der Kritik. Wie haben Sie das erlebt?

Peter Handkes konsequentes Eintreten für Serbien führte anlässlich der geplanten Verleihung des Heinrich-Heine-Preises an den Autor im Sommer 2006 zum Eklat, als der Düssledorfer Stadtsenat den Autor als Preisträger ablehnte.

 

Bosko Tomasevic: Glauben Sie mir, das ganze war buchstäblich ein Medienkampf. Ich war damals in Frankreich, wo ich die Medienberichterstattung über die Serben mitverfolgen konnte. Damals blieben alle Taten und Verbrechen, die von Kroaten und Muslimen inzwischen verübt worden waren, im Schatten Serbiens. Die Medien waren nur an Verbrechen von Serben interessiert.

Peter Handke ist für mich ein Beweis dafür, dass es in Europa eine Zensur gibt, die bestimmen will, was die Menschen meinen dürfen und was nicht, was offizielle Meinung ist und was nicht. Ich bin gerade was Zensur und Meinungsfreiheit betrifft sehr empfindlich, weil ich beides in Ex-Jugoslawien erleben habe müssen und ich selbst ein Opfer dieser Zensur geworden bin.

Ich möchte noch einmal betonen, dass ich kein Anhänger des serbischen Nationalismus bin und ich meine Legitimation objektiv darüber sprechen zu dürfen aus meiner Schrift Verspäteter Bericht an eine Akademie hole, bei der es sich um eine schreckliche Schrift gegen den serbischen Nationalismus handelt.

Andererseits gab es keinen einzigen Schriftsteller in Kroatien oder Bosnien, der sich vergleichbar in einer Schrift gegen den kroatischen oder bosnischen Nationalismus ausgesprochen hätte. Alle kroatischen oder muslimischen Schriftsteller haben diese Vorstellung Europas gegen die Serben für sich genutzt.

Lesen in Tirol: Wurde die Auseinandersetzung mit dem kommunistischem System in Jugoslawien durch den aufkommenden Nationalismus überdeckt und verdrängt?

Bosko Tomasevic: Ja, aber dasselbe Problem finden sie auch in Bosnien, Kroatien und teilweise auch in Slowenien. Interessanterweise wurde gerade in Bosnien die kommunistische Politik besonders getreu umgesetzt. Am wenigsten hatte man sich an die kommunistischen Maximen noch in Slowenien gehalten. Schriftsteller, die heute angeblich so große Demokraten sind, waren früher parteitreue Kommunisten wie z.B. Dobrica Cosic.

Viele ehemalige Kommunisten treten heute als Demokraten auf und surfen auf der Welle des Nationalismus weiter. Das finde ich einfach unehrlich, vor allem aber, dass diese Personen in Österreich, Deutschland und auch Frankreich als angesehene Künstler gelten.

Schauen Sie, ich wurde zunächst ein Opfer des kommunistischen Systems und danach Opfer des Nationalismus in meinem Land und bin heute Nichts und Niemand. Einige Professoren, die Kommunisten waren und ihre eigenen Kollegen verfolgt hatten, sind jetzt in unserer Regierung oder an den Universitäten tätig.

Lesen in Tirol: Unterscheiden sich Ost- und Westeuropa grundlegend, was ihre gesellschaftlichen Freiheiten betreffen?

Bosko Tomasevic: Aus meiner langen Erfahrung würde ich sagen: Der Mensch ist überall derselbe. Leider bestehen weiterhin zahlreiche Vorurteile. Wir kennen uns überhaupt nicht. Diese Tatsache schmerzt mich im Grunde meines Herzen sehr. Mit einer Sichtweise, die nur aus Schwarz und Weiß besteht, lässt sich nichts verändern. Es gibt z.B. in Ex-Jugoslawien sehr viele Intellektuelle mit westlich, liberalen Anschauungen und umgekehrt im Westen viele Leute mit einer sehr engen Sichtweise und einer ähnlichen Intoleranz, wie wir es bei uns vom Kommunismus her kennen.


Es gab keinen einzigen Schriftsteller in Kroatien oder Bosnien, der sich vergleichbar in einer Schrift gegen den kroatischen oder bosnischen Nationalismus ausgesprochen hätte. Foto: Markt-Huter

In Ex-Jugoslawien wurde die Meinungsfreiheit durch die Zensur unterbunden. Aber auch hier im demokratischen Westen musste ich eine Zensur erkennen. Überall, an den Universitäten, in den Zeitungen, in der Öffentlichkeit, präsentieren Medien nur das, was erwünscht ist. Welcher Unterschied besteht zwischen östlicher und westlicher Zensur, zwischen östlicher und westlicher Denkweise? Im Grunde keiner. Das so genannte liberale Denken des Westens existiert nicht.

Ich habe lange Zeit in Frankreich gelebt und habe dieses Land als durch und durch bürokratisch erlebt, viel stärker als Deutschland oder Österreich, sogar stärker als Ex-Jugoslawien. In Frankreich habe ich mich mitunter gefürchtet, zum Postkasten zu gehen, davor, wieder eine staatliche Aufforderung zu erhalten, dieses und jenes zu bestätigen zu müssen. Ich habe mich in Österreich, um es ein wenig überspitzt zu formulieren, von der französischen Bürokratie erholen können.

Lesen in Tirol: Wie sehen Sie sich selbst, als Wissenschaftler und Autor der zwischen den Kulturen steht und sich doch überall zu Hause fühlt?

Bosko Tomasevic: Ich habe es immer als meine Aufgabe betrachtet, eine Brücke zwischen Ost und West zu sein, wobei meine internationale Ausrichtung meiner Herkunft entspricht. Südlich von Belgrad orientieren sich die Menschen - das betrifft auch die Intellektuellen - traditionell mehr nationalistisch, während die Menschen nördlich von Belgrad, Richtung ungarischer Grenze mehr international ausgerichtet sind.

Bereits im 18. und 19. Jahrhundert hat die österreichisch-ungarische Monarchie auf dem Gebiet der Kultur, der Literatur, der Geschichtsschreibung, der Architektur aber auch auf die Esskultur und andere Bereichen die Region, in der ich geboren worden bin, stark beeinflusst. Die Rezeption der westlichen Kultur in der Woiwodina geht also vor allem auf die k.u.k. Monarchie zurück.

Umgekehrt haben auch sehr viele angesehene Leute aus dieser Region wie z.B. aus Novi Sad in Wien und in Budapest studiert und damit die internationale Haltung in der Vojvodina verstärkt. Mein Geburtsort Becej, eine Kleinstadt mit 30.000 - 40.000 Tausend Einwohnern, könnte aufgrund seiner Architektur als ein kleines Wien bezeichnet werden, worauf ich sehr stolz bin.

Ich habe insgesamt mehr als 35 Bücher geschrieben und war vor allem im Rahmen der Ost-West-Beziehungen literarisch tätig. 1971 hat z.B. mein Essay über Georg Trakl die Trakl-Rezeption in Ex-Jugoslawien eingeleitet. Aufgrund der Tatsache aber, dass ich für mich in Serbien keine Zukunft und keine Möglichkeit mehr gesehen habe meinem Beruf nachzugehen, habe ich mich entschlossen in Innsbruck zu bleiben. Eine Entscheidung, zu der ich bis heute stehe.

Lesen in Tirol: Welchen Stellenwert spielt der Blick auf Ex-Jugoslawien in ihrem Werk?

Bosko Tomasevic: Jugoslawien spielt in meinem Werk, außer in meinem erwähnten Roman Verspäteter Bericht an eine Akademie im Grunde keine Rolle. Auch die serbische Kultur spielt in meinen Werken nur eine untergeordnete Bedeutung, da ich kein Slawist im strengen Sinne des Wortes bin. Ich orientiere mich vielmehr an der westlichen Literatur.

Meine Schriften sind vor allem Zwiegespräche zwischen mir und Autoren wie Georg Trakl, Paul Celan, Paul Valery, Boris Pasternak, Friedrich Hölderlin, Martin Heidegger, Jacques Derrida, Samuel Beckett und in letzter Zeit auch mit Charles Bukowski. Es handelt sich dabei fast ausschließlich um westliche Autoren, was für mich nahe liegend ist. Ich habe ja die so genannte westliche Literatur und nicht serbische, kroatische Nationalliteratur studiert.

Lesen in Tirol: Kann die Auseinandersetzung mit der sogenanntenWeltliteratur dabei helfen, den eigenen Geist zu erweitern und allfälligen Nationalismen entgegen zu treten?

Bosko Tomasevic: Selbstverständlich und das ist auch mit ein Grund dafür, weshalb meine Schriften in Ex-Jugoslawien keine Rezeption finden: die Menschen dort wollen sich vor allem an der eigenen Literatur orientieren, einer Literatur, die in diesem kleinen Gebiet Ex-Jugoslawiens entsteht oder entstanden ist. Was nicht heißen soll, dass es nicht auch in Ex-Jugoslawien sehr viele gebildete Menschen gab und gibt. Leider hat sich im Krieg eine große Zahl der serbischen Intellektuellen als Nationalisten entpuppt, die nur allzu schnell bereit waren, ihre Überzeugungen zu wechseln.


Die Schriften Bosko Tomasevics sind vor allem Zwiegesprächem mit Autoren wie Paul Valéry, Paul Celan, Jacques Derrida, Georg Trakl oder Martin Heidegger (v.l.n.r.).

Aus den großen serbischen Schriftstellern wie beispielsweise Dobrica Cosic, Ljubomir Simovic oder Matija Beckovic, die vor dreißig Jahren noch überzeugte Kommunisten gewesen waren und das Vertrauen der Kommunistischen Partei genossen hatten, sind im Jahr 1998 wie über Nacht ganz plötzlich Nationalisten geworden, was sie bis heute geblieben sind. Das ist nicht mehr meine Welt, weil ich mich nicht als Serbe, sondern als Jugoslawe fühle und dazu gehören für mich auch Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina.

Lesen in Tirol: Konnten Sie den wachsenden Nationalismus in Ex-Jugoslawien auch während ihrer Auslandsaufenthalte mit verfolgen?

Bosko Tomasevic: 1990 war ich ein Jahr lang am Lehrstuhl für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität in Nancy in Frankreich, wo ich insgesamt sechs Jahre lang bleiben sollte, eine Zeit die mir in unangenehmer Erinnerung geblieben ist.

Grund dafür ist, dass ich mit dem Institutsvorstand für Vergleichende Literaturwissenschaft und für Slawistik, einem Professor aus Serbien, zunehmend in einen politischen Konflikt geraten bin. Er hat mir z.B. die Frage gestellt: Was können Sie für die Serben tun, in diesem Krieg? Ich habe ihm frei heraus erklärt, dass ich gar nichts unternehme wolle, weil Serbien durch die Regierung Milosevic? in Richtung Nationalismus gehe. Nach einer längeren Auseinandersetzung hat er mich aufgefordert den Lehrstuhl für Vergleichende Literaturwissenschaft zu verlassen.

Er hatte sich von mir einfach erwartet, mit ihm in Frankreich gemeinsam Propaganda für Serbien zu machen, was ich aber vehement zurückgewiesen habe. Zufälligerweise habe ich zu dieser Zeit eine Einladung an das Institut für Germanistik erhalten, wo ich bis 1996 bleiben konnte. Nachdem bereits vorher meine Ehe geschieden worden war, habe ich mich entschlossen, nicht wieder auf eine Gastprofessur zu warten, sondern den Weg eines freien Schriftstellers zu gehen.

Lesen in Tirol: Welche Bücher haben Sie in Ihrer Jugend besonders beeindruckt und in Ihrer Entwicklung beeinflusst?

Bosko Tomasevic: Meinen ersten ernsthaften Kontakt mit deutschsprachiger Literatur hatte ich mit Stefan Zweig, den ich im Alter zwischen 13 und 14 Jahren gelesen hatte. Es folgten Werke von Hölderlin, Kleist und Novalis, Hermann Hesse und Thomas Mann. Danach begann ich meine Gedichte über Hölderlin und Georg Trakl zu schreiben. Meine literarische Tätigkeit stand immer schon in enger Verbindung zur deutschen und österreichischen Literatur. Von Georg Trakl, den ich im Alter von 21 Jahren entdeckt habe, ist die expressionistische Schreibweise in meinen eigenen Werken stark geprägt worden.

Zu Beginn meines literarischen Schaffens hatte ich eine surrealistische Phase, später kam die intertextuelle Beziehung zu anderen Literaturen dazu, wobei ich davon ausging, dass sich Literatur auf Literatur, Sprache und den Schreibakt? bezieht. Ich war in dieser Hinsicht sehr stark von den Werken Paul Valerys und später Jorge Luis Borges beeinflusst. Unter dem Eindruck von Paul Celans Gedanken über die Sprache von Ludwig Wittgenstein habe ich einen Gedichtband verfasst unter dem Titel: Landschaft mit Wittgenstein und andere Ruinen. In letzter Zeit habe ich aber vielmehr geschrieben als gelesen.


>> Bosko Tomasevic: Ein literarisches Leben zwischen den Welten, Teil 2

 



Andreas Markt-Huter, 08-12-2006


Weiterführende Links:
FAZ: Die Diskussion über Peter Handke und den Heinrich-Heine-Preis

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