Leichte Sprache – Eine erweiterte Tür in die Welt der Informationen, Teil 2

Nur wer Bescheid weiß, kann auch mitsprechen und mitbestimmen. Grundvoraussetzung dafür sind verständliche Informationen. Probleme entstehen, wenn Texte besonders komplex und schwer verständlich sind oder wenn Menschen Leseschwierigkeiten aufweisen.

Die immer stärker werdende Forderung nach barrierefreiem Zugang in allen öffentlichen Bereichen hat in den vergangenen Jahren zu einem allgemeinen gesellschaftlichen Umdenken geführt. Mit Hilfe von „Leichter Sprache“ werden Texte heute so gestaltet, dass sie auch von Menschen mit geringen Lesekompetenzen verstanden werden können.

„Leichte Sprache - Das Regelbuch“ der „Forschungsstelle Leichte Sprache“ der Universität Hildesheim bietet derzeit die detailliertesten und wissenschaftlich am besten fundierten Regeln und Richtlinien für Leichte Sprache. Die Sprachwissenschaftlerin Christiane Maaß versteht in ihrer umfangreichen Veröffentlichung, das Konzept Leichte Sprache als eigene Sprachvariante, die es mit sprachwissenschaftlichen Methoden zu untersuchen gilt.

Erklärtes Ziel der Veröffentlichung ist es, Übersetzerinnen und Übersetzern eine gute theoretische Grundlage und praktische Hilfsmittel für die Übersetzung selbst schwieriger fachliche Texte anzubieten. Das Buch stellt im 1. Teil das Konzept, die Grundprinzipien der Leichten Sprache vor und analysiert im 2. Teil die derzeit verbreitetsten und gebräuchlichsten Regelwerke im deutschen Sprachraum und stellt ihre Stärken und Schwächen vor. Der 3. Teil bietet auf sprachwissenschaftlicher Grundlage einen Regelkatalog mit Richtlinien und Vorschlägen, der Übersetzerinnen und Übersetzer helfen soll, selbst schwierige Texte in Leichte Sprache zu übertragen.

Texte in Leichter Sprache: Wieso?

Als Einleitung in das Thema „Leichte Sprache“ wird zunächst anhand eines Beispiels aufgezeigt, mit welchen Schwierigkeiten Menschen mit schwach ausgeprägtem Lesevermögen bei komplexeren Texten mit Fachbegriffen zu kämpfen haben. Dabei werden die wichtigsten Kennzeichen und Charakteristika von Leichter Sprache vorgestellt.

Während der Satz „Die machen hier wirklich ordentliche Gerichte“ in Bezug auf ein Restaurant ohne weiteres verstanden wird, bereitet der Satz aus dem Justizbereich auf verschiedenen Ebenen Verständnisprobleme:

Die ordentlichen Gerichte unterteilen sich auf Landesebene in Amts-, Land- und Oberlandesgerichte. Sie sind für bürgerlich-rechtliche und strafrechtliche Verfahren sowie die freiwillige Gerichtsbarkeit zuständig:
(Christine Maß, Leichte Sprache – Das Regelbuch, S. 7)

Die Übersetzung in Leichte Sprache liest sich nun wie folgt:

Ordentliche Gerichtsbarkeit
2 Personen streiten sich.
Die Personen gehen zu einem Gericht.
Die Personen gehen zu einem ordentlichen Gericht.
          Ordentlich hat hier nichts mit sauber zu tun.
     Ordentliche Gerichte sind die streitigen Gerichte.
          Das Wort streitig kommt von Streit.    
     Die ordentlichen Gerichte regeln Streite.
     Zu den ordentlichen Gerichten gehören zum Beispiel:
          •  Amts·gerichte.
          •  Und Land·gerichte.

(Christine Maß, Leichte Sprache – Das Regelbuch, S. 8)

 

An diesem Beispiel lassen sich bereits wesentliche Merkmale von Leichter Sprache erkennen:

  • Schwierige Fachbegriffe wie „ordentliche Gerichte“ werden erklärt.
  • „Zwei“ wird als Ziffer und nicht als Zahlwort geschrieben.
  • Sätze werden ausgesprochen kurz gehalten.
  • Namen und Bezeichnungen werden nicht mit Pronomen ersetzt, sondern stets mit den gleichen Worten wieder aufgenommen.
  • Jeder Satz steht in einer neuen Zeile.
  • Die Sätze werden durch Einrückungen und Gliederungsmarken strukturiert.
  • Zusammengesetzte Nomen werden mit einem „Mediopunkt“ unterteilt, der die Grenzen der Einzelwörter leichter erkennen lässt.

 

         
          Das komplette „Regelbuch Leichte Sprache“ kann
          im Internet als pdf.-Datei heruntergeladen werden.

          Screenshot: Uni-Hildesheim - Regelbuch Leichte Sprache

 

Was ist leichte Sprache?

Leichte Sprache zeichnet sich durch bewusste Reduktion sowohl im Bereich Satzbau und Wortschatz, als auch in Bezug auf das Allgemeinwissen aus, das für das Verständnis eines Textes benötigt wird. Weitere Kennzeichen sind die besondere Form der optischen Aufbereitung der Texte, die das Erfassen der Inhalte erleichtern sollen.

Für das Schreiben in Leichter Sprache werden keine zusammengesetzten Sätze und nur ganz wenige Bindewörter verwendet. Auf der Ebene des Wortschatzes steht für Sätze nur der Grundwortschatz zur Auswahl. Fremdwörter und Fachbegriffe müssen ersetzt oder erklärt werden. Da es keine Passivkonstruktionen gibt, müssen die Handlungsträger immer benannt werden.

Leichte Sprache ist auf maximale Verständlichkeit ausgelegt. (Christine Maß, Leichte Sprache – Das Regelbuch, S. 13)

Um die visuelle Erkennbarkeit von Worten zu erleichtern, bietet die Leichte Sprache eine Reihe von Layoutvorschriften, von denen bekannt ist, dass sie das Erkennen von Inhalten erleichtern.

  • Lesehilfen auf Wortebene: Mediopunkt und Bindestrich
  • Lesehilfen auf Satzebene: Einrückung von Beispielen, Zwischenüberschriften und Illustrationen

An wen richten sich Texte in Leichter Sprache?

Zielgruppe von Texten in Leichter Sprache sind alle Menschen, die Probleme haben, Ausgangstexte in Standardsprache oder Fachsprache zu verstehen. Im engeren Sinne gehören dazu Menschen mit Lernschwierigkeiten und geistiger Behinderung. Weitere Adressaten sind gehörlos geborene Menschen sowie die größte Gruppe der Personen mit funktionalem Analphabetismus, die zwar eine reguläre Schulbildung durchlaufen haben, jedoch das sinnentnehmende Lesen von Standardtexten nicht beherrschen. In Deutschland zählen allein zur letzteren Gruppe ca. 7,5 Millionen erwachsene Personen.

Regelwerke für Leichte Sprache

Im zweiten Kapitel werden die drei wichtigsten bestehenden Regelwerke zur Leichten Sprache vorgestellt und bewertet. Dazu gehören:

Im umfangreichen dritten Kapitel findet sich das Regelwerk für Leichte Sprache der „Forschungsstelle Leichte Sprache“ der Universität Hildesheim. Gleich zu Beginn werden die Prinzipien Leichter Sprache vorgestellt dazu zählen „Grundprinzipien mit Bezug auf das Sprachsystem“ und „Ethische Grundprinzipien Leichter Sprache“. Anschließend werden die Besonderheiten Leichter Sprache zunächst auf „Zeichenebene“ und anschließend auf „Wortebene“, „Satzebene“, „Textebene“ sowie in Bezug auf „Typographie und Layout“ behandelt.

Der umfangreiche Abschnitt „Übersetzen in Leichte Sprache“ richtet sich speziell an Übersetzerinnen und Übersetzer und behandelt neben allgemeinen Ausführungen zum Übersetzen auch den Übersetzungsprozess selbst. Weiters werden Hilfsmittel für die Übersetzung in Leichte Sprache bewertet, wie Wörterbücher der Leichten Sprache, Thesauri und Synonymwörterbücher, Datenbanken mit Übersetzungsvorschlägen, Übersetzungsspeicher zur Erkennung wiederkehrender Textmuster und Software zur automatischen Verständlichkeitsprüfung.

Abschließend kommt die Frage nach der Korrektur von Leichte-Sprache-Übersetzungen durch die Zielgruppen zur Sprache und werden die wichtigsten Zertifikate und Gütesiegel für Leichte-Sprache-Texte vorgestellt. Dazu gehören das Siegel von Inclusion Europe, das Siegel „Leicht Lesen“, der privaten Firma „capito“ und das Siegel „Leichte Sprache wissenschaftlich geprüft“, der Forschungsstelle Leichte Sprache.

Das komplette „Regelbuch Leichte Sprache“ umfasst 192 Seiten und kann gratis im Internet als pdf.-Datei heruntergeladen werden.

 

Weiterführende Links:

 

>> Leichte Sprache – Eine erweiterte Tür in die Welt der Informationen, Teil 1

 

Andreas Markt-Huter, 21-06-2016

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