Werner Schandor, Ruby lebt
Wenn Geschichten im Titel etwas scheinbar Selbstverständliches behaupten, ist in der Literatur meist Vorsicht angesagt, irgendwas liegt bei solchen Behauptungen meist schräg in der Logik.
Werner Schandor, der Meister glasklarer Schräg-Geschichten, stellt in seiner Titelgeschichte vorerst einen Aufkleber vor, der mit seiner Botschaft ?Ruby lebt ziemliche Verunsicherung schafft. Einerseits handelt es sich um eine Verheißung wie Jesus lebt, andererseits ist Ruby völlig unbekannt, ein Attentäter auf Kennedy soll sich einmal als Ruby ausgegeben haben.
In einer Mischung aus Müdigkeit und Überlebenswillen trifft das erzählende Ich schließlich auf die echte Ruby, eine Frau, die für eine Nacht sämtliche physikalischen Gesetze sprengt. Als der Erzähler ganz bieder mit seiner Ruby weiter machen will, verweigert ihm diese jegliche gemeinsame Zukunft. Es handelt sich bei Ruby tatsächlich um eine Erlösung für eine Nacht.
In einem kurzen Thriller wird ein Buchüberfall vorgestellt. Mit den Vorbereitungen zu einem großen Coup und mit dem Vokabular der Kriminaltechnik wird gezeigt, wie man ein Buch überfallen muss, um seinen Inhalt zu erbeuten.
Das Buch betreten. Käppi, große, dunkle Sonnenbrillen, Kleidung, die schon lange ungenutzt im Kasten gelegen war; eintreten, auf ein Kapitel zugehen und die Lesebrille zücken. [...] Her mit der Story, aber dalli, sonst knallts! (27)
Wenn man bedenkt, dass es sich beim Buch- und Bankinhalt jeweils um Fiktionen handelt, deren Wert durch allgemeine Übereinkunft entsteht, ist die analoge Vorgangsweise bei Bank- und Buchüberfall ziemlich überzeugend.
In einem erotischen Grenzgang wagt sich ein Paar ziemlich weit in seltsame Praktiken vor. Die Sauerei nimmt vollends ihren Lauf, als bei einem Date das Fernsehen im Sinne einer geilen Big-Brother-Show mitschneidet. Ab jetzt kann sich das experimentierfreudige Paar in der kleinkarierten Umwelt nicht mehr sehen lassen und ist überzeugt, dass es bei einer sexuellen Darmspiegelung doch besser aufgehoben gewesen wäre.
Popstars, die in der ruralen Chinakohl-Halle durchdrehen, eine Möwe, die beim Sterben eine Frau mehr rührt als ein Mann, die Aufzeichnungen eines nächtlichen Glühwürmchen-Spanners, der überall UFOs sieht, sind weitere Texturen mit schrägem Fundament.
Eine aberwitzige Übergeschichte handelt schließlich von einem Kinderwunsch, der von der Kinderfabrik ordnungsgemäß erfüllt wird. Obwohl ein Paar kein Kind will, bekommt es eines zugestellt. Als sich das Paar dann doch an das Kind gewöhnt hat, wird dieses wieder abgeholt, weil endlich der Akt des Einspruchs aufgearbeitet worden ist. Ein Amt reagiert eben über Jahre gesehen mindestens so zuverlässig wie ein Elternpaar. - Skurril, frech und glasklar!
Werner Schandor, Ruby lebt. Kurze Geschichten
Wies: Edition Kürbis 2011, 177 Seiten, 14,90 €, ISBN 978-3-900965-44-0
Weiterführender Link:
Edition-Kürbis: Werner Schandor, Ruby lebt