Gerard Kanduth, Durch die Gleitsichtbrille
Wohl die wenigsten, die sich eine Brille überstülpen, ahnen, dass es sich dabei vielleicht sogar um eine eigene Literaturgattung handeln könnte.
Gerard Kanduth versieht seine Beobachtungen mit der Optik einer Gleitsichtbrille, die Geschehnisse gehen fließend von der realen Wahrnehmung in die fiktive Gedankenverarbeitung über, der Blick ist gereift, wie bei einem Gleitsichtbrillenträger.
Mit vier visuellen Einstellungen nähert sich der Autor Alltäglichkeiten, die einerseits aus der Welt der Judikatur, andererseits aus dem Fundus der Literatur gespeist werden.
Mit "Ländlichen Perspektiven" startet die Rundschau. Ein Kind fährt mühsam zu einer Aufnahmeprüfung und muss sich vom prüfenden Lehrer verarschen lassen, es kann nicht einmal beantworten, ob die Prüfung gelungen ist, aber der Lehrer hat offensichtlich ein eigenes Verhöhnungs-Lied zu Ehren des Kandidaten geschrieben. - An anderer Stelle, die wie ein Horrortrip von Kafka aufgebaut ist, kann der Bürgermeister K. nicht einschlafen, weil die Nächtigungen im Ort zurückgehen.
Er wird den Fremdenverkehr verbieten, vielleicht kommt dann jemand zur Nächtigung, wenn es verboten ist. - In der tiefsten Provinz kommt es wegen eines Grenzsteins zu einer letalen Verwicklung unter Nachbarn, nicht einmal das Gericht kann diesen Streit schlichten.
In den "Strandgeschichten" benehmen sich Kärntner auf Kreta und in Italien recht auffällig, vielleicht hängt das auch nur mit ihren "nudelschweren Bäuchen" (47) zusammen, die ihnen sämtliche Durchblutung aus dem Hirn abziehen.
Ziemlich possenhaft geht es in den "kulturellen Streifzügen durch Kärnten" zu, ein Schiff wird pompös am Lendkanal festgemacht und auf den Namen Kultur getauft. Allerhand Adabeis steuern es künftig durch den Wörthersee und fühlen sich auf hoher See. Begleitet wird diese Kreuzfahrt von trivialen Graffiti, wie sie quer durch das Land gesprüht sind.
In der Abteilung "angewandte Rhetorik" geht es schließlich um Skurrilitäten, die die korrekte Anwendung der Fachsprache in einem unkorrekten Land auslöst. So verunsichert ein Hofrat mit der Kundmachung einer Pensionskürzung ganze Landstriche, in einer juridischen Vogelkunde werden Standarddefinitionen ad absurdum geführt, etwa "Mutter ist die Frau, die das Kind geboren hat" (107), in einer Jahresbilanz wird Mitarbeiterinnen gedankt, dass sie auch im Urlaub einsatzbereit und unproduktiv geblieben sind.
Gerard Kanduth blättert diese Kleinodien durch, wie man vielleicht eine Gebrauchsanleitung liest, wenn das Gerät defekt geworden ist. Irgendwie sind diese Figuren alle defekt, aber es tut nicht weh, sie bleiben auch im Defekt liebenswert. Wer die Gleitsichtbrille ein wenig verschiebt, kann auch mit diesen schrägen Typen gut auskommen. - Eine feine Methode, Störungen im Provinzleben erträglich zu machen!
Gerard Kanduth, Durch die Gleitsichtbrille. Ein heiter-ironisches Panoptikum
Klagenfurt: Hermagoras 2011, 128 Seiten, 19,00 €, ISBN 978-3-7086-0590-6
Weiterführender Link:
Hermagoras-Verlag: Gerard Kanduth, Durch die Gleitsichtbrille