Andrzej Stasiuk, Dojczland

Buch-Cover

Nichts ist für ein Land wertvoller, als wenn zwischendurch jemand von außen kurz einen Blick darauf wirft.

Andrzej Stasiuk wirft einen beinahe magischen Blick auf das Gebilde, das in einer Mischung aus Paradies und Verachtung "Dojczland" genannt wird. Im Sinne eines frechen Essays oder eines hitzigen Reise-Romans fährt ein erzählendes Ich durch Deutschland, meist wegen literarischer Auftritte, so spult das Ich Stadt für Stadt und Literaturhaus für Literaturhaus (31) herunter. Zwischendurch gibt es diese Arbeitsessen, manchmal sogar in einem Keller voller Fressen, überall liegt beim Empfang Essen herum. Und die Hotels haben es auch in sich, am besten beurteilt man sie nach den Auswüchsen der Minibar.

Was die öffentliche Erscheinung Deutschlands betrifft, so dreht sich auf den ersten Blick alles ums Auto.

Ich habe bisher wohl mehr geparkte als fahrende Autos gesehen. (35)

Die Deutschen entwickeln eine Ernsthaftigkeit beim Autofahren, es gibt vielleicht gar einen eigenen Gotha dafür, genaue Spielregeln und Grußformeln, wie die Autobetreiber untereinander kommunizieren. Und dann gibt es den sich selbst abholenden Müll, der Mercedes ist so ein Beispiel, nach Gebrauch wird er in entlegenen Gegenden der Krim oder Anatoliens entsorgt.

Zwischen den Lesungen will der Autor oft gar nichts, damit er dieses Land aushält.

Einfach nur gucken wie Rentner im Osten. (21)

Bei genauerer Betrachtung kommt schließlich ein Verdacht auf, die Deutschen ziehen sich zurück und lassen das Deutsche von anderen erledigen. Am ehesten merkt man diesen Rückzug, wenn man aus der Stadt hinausfährt.

Ah, dieser allmähliche Schwund, dieses Parterre, dieses Grün. (51)

Um dieses "Dojczland" irgendwie einordnen zu können, werden manchmal Szenen aus Österreich eingespielt, wo diese Kultur als Nachahmung und Verniedlichung in voller Lächerlichkeit zum Vorschein kommt. Die berühmte Bettlerszene in Graz zwingt den Autor, sich als Russe auszugeben, denn Polen kommen hier schlecht an. Und was echter Kapitalismus bedeutet, erfährt der Erzähler in Innsbruck, wo er als Honorar einen 500- Euro-Schein bekommt, mit dem man sich aber nichts kaufen kann, weil niemand herausgeben kann. (56)

In seiner eigentümlichen Wallfahrersprache läuft Andrzej Stasiuk zur Höchstform auf, mit kurzem Blick erkennt er die Schweißnahten der Gesellschaft und bricht sie unbarmherzig auf. So gerät Dojczland schließlich zu einem tiefen Seufzer, der sich über den Kontinent legt.

Andrzej Stasiuk, Dojczland. A. d. Poln. von Olaf Kühl, [Orig.: Dojczland, Wolowiec 2007.]
Frankfurt/M: Suhrkamp 2008 (= es 2566), 92 Seiten, 9,00 €, ISBN 978-3-518-12566-3

 

Helmuth Schönauer, 04-10-2011

Bibliographie

AutorIn

Andrzej Stasiuk

Buchtitel

Dojczland

Originaltitel

Dojczland

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Suhrkamp

Reihe

es 2566

Übersetzung

Olaf Kühl

Seitenzahl

92

Preis in EUR

9,00

ISBN

978-3-518-12566-3

Kurzbiographie AutorIn

Andrzej Stasiuk, geb. 1960 in Warschau, lebt in den Beskiden.

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