Anna Kim, Invasion des Privaten

Buch-Cover

Kolonisation ist dann vollkommen, wenn die Identität des Einzelnen korrumpiert ist, folglich gelingt Kolonisation über die Invasion des Privaten.

Im Frühjahr 2010 reist die Schriftstellerin Anna Kim nach Grönland, statt der üblichen Fotoreportagen schreibt sie in der grönländischen Hauptstadt Nuuk sowie im entlegenen Touristen-Expeditionsort Kangerlussuaq einen Essay, der den Spuren der Kolonisation nachgeht und die Auswirkungen auf die quasi dänisch gewordenen Bewohner beschreibt.

Lange geistert in der Kolonialgeschichte der Begriff einer guten Kolonialmacht durch die Medien, Dänemark sei eine sehr aufgeschlossene und humane Kolonialmacht gewesen. Anna Kims Ergebnis freilich lautet, es gibt keine gute und schlechte Form, denn es geht immer um das Eingemachte.

So beschreibt sie, wie immer wieder die Urbevölkerung umgesiedelt wurde und man ihre Jagdgebiete kommerzialisierte oder militarisierte. Ganze Generationen wurden nach Dänemark zur Schule geschickt, um dann gute Grönländer wieder im Eis zu entlassen.

Die Lebensform im Eis wurde denunziert und deren Community als ungebildet abgestempelt. So gab es dann plötzlich gute Grönländer, die sich bis ins Aussehen hinein domestiziert und dämonisiert hatten und ghettoisierte "Ur-Bewohner", die an den Rand der Gesellschaft gerückt werden.

Bei öffentlichen Anlässen und bei privaten Gesprächen stellt die Autorin immer wieder fest, dass die fremde Macht bis ins Private eingedrungen ist und den Menschen letztlich jegliche Identität genommen hat. Das lässt sich am Beispiel Grönlands deshalb so veranschaulichen, weil die ursprüngliche Kultur eine ökonomisch auf Eis und Wetter fokusierte Lebensform war, die sich die Menschen in dieser Umgebung zueignen konnte. Jegliches Gerät von außen, jegliche Spracherweiterung mit Konsum hat diese Form verändert. Geblieben sind sehr viele Klischees und ein Unverständnis der ehemaligen Kolonialherrschaft für die mittlerweile im Vokabular gleichgestellte Bevölkerung.

Anna Kim beschreibt diese Invasion mit dem scharfen Auge von jemandem, die selbst dieser Invasion des Privaten ausgesetzt ist. So will ihr auf Anhieb niemand glauben, dass sie Österreicherin ist, und selbst wenn sie perfekt Deutsch spricht, gilt es immer als Zitat. Ähnliches widerfährt Grönländern, denen die gebliebene Restidentität als Zitat ausgelegt wird.

Invasion des Privaten zeigt, wie der globale Einheitsbrei längst in die hintersten Ritzen des Globus vorgedrungen ist, und dass man nur mit ungeheurer Anstrengung so etwas wie Persönlichkeit für sich retten kann. Die Globalisierung hat uns nämlich längst unser Privates genommen, die Invasion des Privaten ist schon längst verwirklicht.

Anna Kim, Invasion des Privaten.
Graz: Droschl Verlag 2011. ( = Essays 63), 106 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-85420-781-8

 

Helmuth Schönauer, 05-12-2011

Bibliographie

AutorIn

Anna Kim

Buchtitel

Invasion des Privaten

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Droschl

Reihe

Essays 63

Seitenzahl

106

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-85420-781-8

Kurzbiographie AutorIn

Anna Kim, geb. 1977 in Südkorea, kam 1979 nach Wien, lebt in Wien und Pristina.

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