Iris Hanika, Musik für Flughäfen

Der Flughafen Tegel ist wie ein Ring um ein Ereignis gebaut, das vielleicht Abschied heißt oder Sehnsucht, jedenfalls trifft jemand die Erzählerin mit übergroßen Boxhandschuhen mitten ins Herz.

Iris Hanika zwickt in ihren kurzen Texten jeweils emotionale Wollfusel aus dem Gewebe, es sind Unebenheiten, Störungen, verstopfte Rillen in einer alten Langspielplatte.

In der Titelgeschichte bricht eine Frau im Flughafen mehr oder weniger zusammen, ein ferner Liebhaber ist kurz vorbei gekommen und hat ihr eine alte Platte zurück gebracht, jetzt weiß sie nicht, wie man sich von einem Liebhaber verabschiedet, der nicht mehr greifbar ist. Musik für Flughäfen liegt in der Luft und eigentlich ist es eine Musik für die Wäsch?, wie man so schön sagt. Wenn mir wenigstens einmal einer etwas angetan hätte, klagt die Frau. (34)

Überhaupt sind die Begegnungen zwischen Mann und Frau höchst flüchtig, ungelenk, meist eine Sache, die von falschen Tönen begleitet wird.

Sie sind so leicht, ich spüre Sie kaum. (89)

Der Mann geht gleich zur Sache und knöpft die Frau auf, aber das Licht passt nicht, die Knöpfe sperren sich, plötzlich sieht man das Übergewicht, es ist alles nicht so, wie es in den angelesenen Geschichten steht, dass es abläuft.

Auch bei einem jungen Mädchen kann die Welt bereits ganz schief hängen, die Tochter des Hauses, gerade fünfzehn geworden, setzt sich an den Tisch und äußert den Wunsch, I want to die! Die Todessehnsucht hilft aber nur für kurze Zeit, dann geht das Leben weiter. An anderer Stelle begutachten Sechzehnjährige ihre ersten Tätowierungsversuche, dann wieder treffen Blassgesichter mit Hasenzähnen aufeinander und wissen nicht was anfangen. - Was ist der Mensch? Wir wissen es nicht. Musterbriefe zwischen den Geschlechtern hin- und hergeschickt können nichts erklären, noch ehe der Brief passt, ist die Situation schon wieder ins Gegenteil umgekippt.

Iris Hanika erzählt in ihren kurzen Texten von den größten Dingen, von Liebe, Tod und Sehnsucht. Während das Leben abgetupft wird mit zu groß geratenen Wortbauschen treten die Wunden hervor, sie sind irgendwie grau. Es enden nämlich die größten Gedankenwürfe im Alltag und versickern dort ins Unendliche.

Iris Hanika: Musik für Flughäfen. Kurze Texte.
Frankfurt/M: Suhrkamp 2005. ( = es 2404). 123 Seiten. EUR 8,50. ISBN 3-518-12404-8.

Helmuth Schönauer, 18-10-2005