Anita Pichler, Haga Zussa

Buch-CoverVielleicht sollte man diesen Text wie Jazz lesen. In einem beiläufigen Hinweis gibt Anita Pichler eine Anregung, wie man sich als Leser dieser beinahe handlungslosen Erzählung nähern könnte.

Tatsächlich passiert äußerlich nicht allzu viel, aber der Brei des Lebens fließt heftig zäh über die abgründigen Absätze. Die Erzählerin hat den Schlüssel zu ihrer Wohnung verlegt, durchs Schlüsselloch sieht sie die Dinge in ihrer Wohnung verstellt und entrückt. Beruflich scheint sie mit Fragebögen unterwegs zu sein, immerhin sucht sie die seltsamsten Menschen auf, um ihnen mehr oder weniger rabiate Fragen zu stellen.

Oft äußern sich die Menschen auf einer völlig anderen semantischen Schaltfläche, als dies ursprünglich gedacht ist. Beispielsweise trägt kaum noch jemand ein passables Gesicht, die Kunden lassen sich offensichtlich selbst mit ihren Gesichtern ziemlich gehen.

In diese Hülle des verlorenen Schlüssels und der Befragung ist eine Schöpfungsgeschichte eingebaut, worin ein Bildhauer Eckehardt seine Uta formt. Andererseits erwacht diese Uta zu einem göttlichen Wesen und verlässt zwischendurch den Stein oder springt aus dem Lehm.

In dieser Szenerie ist auch die Figur der Haga Zussa angesiedelt, eine mythologisch verschleierte Zaunreiterin, die im südlichen Alpenraum als Zwischenwesen der Bewusstseinsschichten vorkommt. Aus dem Haga soll sich auch der Begriff der Hexe entwickelt haben.

Anita Pichlers Hauptwerk ist 1986 unter dem Titel "Die Zaunreiterin" erschienen und wurde ein Opfer der so genannten Frauenliteratur. Die Betreuerinnen des Nachlasses haben sich deshalb entschlossen, den klareren Titel Haga Zussa zu verwenden. Tatsächlich ist das Hauptthema dieses Textes die Verknotung, Verschlüsselung und Verschleierung des Lebenslaufes zu einer Anhäufung hellsichtiger Erkenntnisse.

Unter den Schlieren des Textes blubbern jeweils die scharfen Sätze auf, letztlich fließt der Erzählsprudel über spitze Bemerkungen. Allmählich gerät man als Leser in den Sog dieser Formulierungen, es entsteht so etwas wie dichte, lyrische Materie, die zwischen die psychologischen Gliedmaßen der Figuren gestopft ist, dicht, spitz und abgeklärt.

Anita Pichler: Haga Zussa. Die Zaunreiterin. Erzählung. Mit einem Nachwort von Sabine Gruber und Renate Mumelter.
Wien / Bozen: Folio 2004. 123 Seiten. EUR 18,-. ISBN 3-85256-284-8.

 

Helmuth Schönauer, 01-12-2005

Bibliographie

AutorIn

Anita Pichler

Buchtitel

Haga Zussa

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Folio

Seitenzahl

123

Preis in EUR

EUR 18,-

ISBN

3-85256-284-8

Kurzbiographie AutorIn

Anita Pichler, geb. 1948 in Schenna, starb 1997 in Bozen.

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