Karin Ivancsics, Süß oder scharf

Buch-CoverTaugenichtsin ist eine schelmische Berufsbezeichnung für eine arbeitslose Frau, die aber der Gesellschaft nicht die Zunge zeigt sondern ein nettes Gesicht macht, wenn „Pfoti geben“ angesagt ist.

Iris hat einmal im Monat einen Termin beim Sozialamt und erledigt diese Tour routiniert, indem sie genau so viele Gefühle zulässt wie erwartet werden, nämlich keine. Als Belohnung gibt es nach dem Amt immer eine kleine Wurst und die schöne Frage, süß oder scharf. Letztlich geht es im Leben nämlich um den Senf, sonst gar nichts.

Aber dieses Mal ist alles etwas anders, Iris hat in einer Kunstaktion das Klopapier aufgebraucht und will sich noch schnell welches holen. Da sperrt sie sich aus der Wohnung aus und ist gezwungen, eine Nacht lang die Stadt mit den Augen einer Taugenichtsin zu erleben.

Der Aufsperrdienst lässt auf sich warten, und die Heldin zieht von einer Vernissage zur nächsten, von einer Künstler WG in die Fragmente eines Ateliers, sie besucht Künstlerstammtische an versoffenen Diskutierecken und bringt eine Nacht mit scharfer Analyse hinter sich, indem sie diese putzigen Rituale ungefiltert auf sich wirken lässt.

Es gibt viel Erlebnis-Trash im Land, und auch abseits der so genannten Seitenblicke-Gesellschaft ist das Seichte gerne zu Hause, auch wenn es sich intellektuell und Szene authentisch tarnt.

Alleinerziehende Lebenskünstler erzählen ungefragt von ihren Kindern und Partnern, die Träume lösen sich während der Gespräche in weinerliches Wohlgefallen auf, eine ganze Generation scheint Nacht für Nacht den Sinn des Lebens zu verlieren, während sie das Tagwerk als vergeblich besingt.

Die ausgesperrte Heldin ist plötzlich im Auge des Zeitgeistes, der sich als ein gigantisches Biedermeier-Revival herausstellt. Sie surft durch die Kleinodien des Alltags, die Devotionalien von kleinen Kochnischen, durch Rezepte und hausbackene Happenings. Jetzt ist sie wirklich eine Taugenichtsin und schreitet durch eine kitschige Epoche, wie es der biedermeierliche Taugenichts von Joseph von Eichendorff einst getan hat.

Karin Ivancsics „Senf-Novelle“ hat durchaus das Zeug, neben dem historischen Taugenichts als schulische Pflichtlektüre einer etwas verklemmten Generation einzugehen. Trashig, trendig, verraucht, nacht-rot und hektisch pingelig fließen jene Ereignisse ihrem Höhepunkt zu, der Nacht für Nacht darin besteht, das Licht auszumachen und die zusammen gekarrten Erlebnisse unters Bett zu schieben. Eine sehr süffisant-witzige Geschichte!

Karin Ivancsics: Süss oder scharf. Ein Tag im Leben einer Taugenichtsin. Novelle.
Weitra: Bibliothek der Provinz 2005. 139 Seiten. EUR 18,-. ISBN 3-85252-675-2.

Karin Ivancsics, geb. 1962 in St. Michael/Burgenland, lebt in Wien.

 

Helmuth Schönauer, 28-11-2005

Bibliographie

AutorIn

Karin Ivancsics

Buchtitel

Süß oder scharf

Erscheinungsort

Weitra

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Bibliothek der Provinz

Seitenzahl

139

Preis in EUR

EUR 18,-

ISBN

3-85252-675-2

Kurzbiographie AutorIn

Karin Ivancsics, geb. 1962 in St. Michael/Burgenland, lebt in Wien.

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