Gotthard Bonell, Vis-à-vis

Buch-Cover

Die Zauberwurzel heißt „pro-trahere“, das Wesentliche herausziehen, daraus ist das Porträt entstanden.

In einem grandiosen Überblick über die wichtigsten Stationen des Porträts, lässt der sorgsame Einbegleiter Andreas Hapkemeyer keinen Zweifel aufkommen, dass das Porträt gerade weil es die Fotografie gibt, seinen Stellenplatz in der Kunst des Herausziehens hat.

Die zitierten Hauptwerke dieses Porträtüberblicks sind jeweils als kleiner JPEG, wie man heute digital sagen würde, in den Aufsatz eingenäht. So sehen die Leser gleich, was Face und Sache ist: Von Raffael, Jan van Eyck über Picasso und Lucien Freud geht es dann in heimische Gefilde mit Porträts von Albin Egger-Lienz und Ernst Nepo.

Und dann bleibt das Auge an Gotthard Bonell hängen, seine entlarvend klaren Gesichter von Alois Partl, Wendelin Weingartner und Herwig van Staa sagen mehr über deren Politik aus als jede noch so mit Erfolgszitaten aufgefüllte Biographie.

Alois Partls Kopf schwimmt im Flüsterasfalt, möchte man seine tragisch erfolglose Amtsführung zusammenfassen, Wendelin Weingartner ist an der Augenachse etwas geknickt, nicht alles ist so gerade ausgegangen, wie es seine schönen Sonntagsreden versprochen haben, und Van Staa weiß schon zu Lebzeiten, dass hinten nicht alles so ist, wie es vorne die Amtsmontur verspricht. – Diese Beispiele zeigen, was das Porträt kann, wenn es von einem Meister gestaltet wird, und Gotthard Bonell ist wahrlich ein Meister.

Nach dieser rasanten Einführung ins Vis-à-vis kommentiert Peter Weiermair die Kunst der Ausnahme und der Regel.

Im Hauptblock sind dann die Bilder abgedruckt, Bleistiftzeichnungen, satte Farbkomposituren, Mischtechniken, und im Mittelpunkt immer das Gesicht. Das Porträt ist ein Hauptthema Gotthard Bonells, durch die chronologische Darstellung lassen sich die verschiedenen „Hinwendungen“ des Künstlers nachvollziehen. Ein besonderer Höhepunkt ist dabei die Renaissance, und wer einmal ein Bonell-Original voller Schichten und Zitate gesehen hat, weiß, wie dick die Schicht des Gesehenen unter dem Abschlussfirnis ausfallen kann.

Als Leser schaut man natürlich, blättert und schaut, und allmählich erschließen sich Geschichten hinter den Gesichtern. Ein gutes Porträt zu malen braucht so viel Kraft, wie eine dicke Biographie zu schreiben. Der Betrachter freilich hat den Vorteil, dass er diese dicke Erkenntnis in einem einzigen Augenblick sehen kann, freilich legen sich diese heftigen Bilder dann ganz ausgefaltet im Gedächtnis ab.

Gotthard Bonell, Vis-à-vis. Porträts | Ritratti 1975-2005. Hrsg. von Andreas Hapkemeyer.
Bozen: Raetia 2006, 96 Seiten, 25,00 €,  ISBN 978-88-7283-253-0

 

Weiterführende Links:
Edition-Raetia: Gotthard Bonell: Vis-à-vis
Wikipedia: Gotthard Bonell

 

Helmuth Schönauer, 10-05-2006

Bibliographie

AutorIn

Gotthard Bonell

Buchtitel

Vis-à-vis. Porträts

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Raetia

Herausgeber

Andreas Hapkemeyer

Seitenzahl

96

Preis in EUR

25,-

ISBN

978-88-7283-253-0

Kurzbiographie AutorIn

Gotthard Bonell, geb. 1953 in Truden, lebt in Bozen, Truden und Wien.

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