Franz Kneissl, Taxi zum Parkplatz

In der Literatur kann alles zum Helden werden und eine Story auslösen. Dass aber das Farbspektrum selbst im Mittelpunkt von Erzählungen steht, ist ja fast schon ein Goethe’scher Ansatz, Goethe hat ja seine Farbenlehre als wichtiger eingeschätzt als seine Literatur.

Am besten beginnt man mit dem Abspann von Franz Kneissls Universum, Personen und Darsteller nach der RAL-Farbskala heißt es da, in 34 Zeilen sind jeweils vier ähnliche Farben aufgefädelt, die Geschichten auslösen. Diese RAL-Farbskala wird in der Industrie dazu verwendet, um Anstriche und Lacke zu normieren, so dass etwa ein Haus mit der bloßen Nennung der Nummer überall auf der Welt gleich eingefärbelt werden kann.

Diese industriell-serielle Vorgangsweise wählt Franz Kneissl auch für seine Geschichten. Im ersten Satz wird gleich einmal die Figur genannt, die anschließend eine skurrile Begebenheit auslöst oder der eine unheimliche Begegnung widerfährt.

Herr Stahl Blau ist profunder Kenner der klassischen Musik, er weint zur Musik so heftig, dass er einen wasserdichten Boden einziehen lassen muss. Frau Reseda Grün hat bei Gartenarbeiten einen Tausendfüssler verletzt und lässt das beschädigte Bein eingipsen. Herr Sepia Braun war gerade Leiter einer Gefangenenanstalt, als er ein Kind zu Tode quälte, jetzt erinnert ein Mahnmal an diese schreckliche Zeit.

Den Farben wird also eine dramatische Eigenschaft zugeordnet, das Braune der Nazi-Zeit agiert selbst als Terror, das sanfte Grün des Gartens überhöht die Tierliebe, indem beim Tausendfüssler jedes einzelne Bein gewürdigt wird, und das Blaue der Romantik lässt musikalisch kein Auge trocken.

Die einzelnen Geschichten sind für sich genommen manchmal sehr märchenhaft zugespitzt, durch diese schier unglaubliche Heftigkeit des Plots freilich kommt das Wesen der Farb-Helden knallhart zum Vorschein. Vermutlich müssen die Geschichten selbst wie auf einer Palette aufgemischt und eingetrübt werden, damit daraus ein nachvollziehbarer Realismus entsteht. Die wahre Geschichte erzählt sich also durch das Aufmischen der einzelnen Plots, bis das Gemälde vor dem Leserauge vollends aufgebauscht und aufgeworfen ist.

Franz Kneissl nennt seine Komposition folgerichtig Farben und Spiele. Dabei wird sogar die Tante Beton Grau zu einem aufregenden Erlebnis, über Jahrzehnte verschafft sie nämlich als Fußballstadion Höhen und Tiefen, Jubel und Schmerz.

Mit dem reinen Weiß hört dieses farbenfrohe Erzählexperiment auf, als Leser ist man mittlerweile so an der Netzhaut stimuliert, dass man Ereignisse Farben zuordnet, das Taxi zum Parkplatz fährt folglich durch einen industriell genormten Regenbogen.

Franz Kneissl, Taxi zum Parkplatz. Farben. Spiele.
Wien: Sonderzahl 2006, 119 Seiten, EUR 15,-. ISBN 978-3-85449-248-1

 

Weiterführende Links:
Sonderzahl-Verlag: Taxi zum Parkplatz
AEIOU: Kurzbiographie Franz Kneissl

 

Helmuth Schönauer, 14-07-2006

Bibliographie

AutorIn

Franz Kneissl

Buchtitel

Taxi zum Parkplatz

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Sonderzahl

Seitenzahl

119

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-85449-248-1

Kurzbiographie AutorIn

Franz Kneissl, geb. in Judenburg, lebt als Architekt, Stadtplaner und Schriftsteller in Wien.

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