Jennifer Roy, Kellerkind

Buch-Cover"Vergeben ist ganz einfach - aber vergessen, das ist sehr, sehr schwer' erklärt Werner Bab, der das Konzentrationslager in Auschwitz überlebt hat.

Bücher zum Thema Holocaust und Judenverfolgung erinnern nicht nur daran, welch unvorstellbare Verbrechen während der Herrschaft des Nationalsozialismus begangen worden sind, sondern lassen auch den Opfern der Verbrechen Gerechtigkeit wiederfahren, indem sie nicht der Vergessenheit anheimfallen.

Jennifer Roy erzählt die Geschichte ihrer Tante Sylvia Perlmutter, einer Überlebenden des Holocausts, die nach langen Jahren ihr Schweigen bricht.

Syvias Geschichte drängte an die Oberfläche, verlangte danach, erzählt zu werden. Sie erzählte sie mir, ihrer Nichte. Zum ersten Mal hörte ich die Geschichte einer Holocaust-Überlebenden vom Anfang bis zum Ende. Als ich erfuhr, dass meine Tante, die sich jetzt Sylvia nennt, eines der zwölf Kinder war, die das Getto von Lodz überlebt hatten, war ich fassunglosl. (7)

Jennifer Roy erzählt die Geschichte ihrer Tante aus der Ich-Perspektive, aus der Sicht eines jungen  Mädchens, das beim Ausbruch des 2. Weltkrieges gerade erst vier Jahre alt war. Als der Alptraum schließlich zu Ende geht, wird sie gerade erst mal neun Jahre alt sein. Im Februar 1940 muss Syvia mit ihrer Familie in das Getto von Lodz übersiedeln, wo sie in einer kleinen Wohnung im 2. Stock, für lange Zeit leben werden. Sie erlebt wie ein Zaun um das Getto errichtet wird, das zu einem Käfig für die mehr als 230.000 Juden wird, die in Lodz leben.

Nichts ist mehr wie früher, ihre Schwester muss in einer Waffenfabrik arbeiten, statt die Schule zu besuchen und für sie selbst wird es erst gar keine Schule geben. Täglich werden Menschen vermisst, es gibt Berichte über deutsche Soldaten, die Leute schlagen oder sie sogar erschießen und auch der Hunger nimmt im Herbst 1941 immer größere Ausmaße an.

Im Winter 1941 kann Syvia in der Ferne das Pfeifen der Züge hören, die täglich Menschen aus dem Getto in die Vernichtungslager deportieren. Noch weiß niemand wohin die Züge die Menschen bringen werden. Im Sommer 1942 beginnen die Nazis damit alle Kinder aus dem Getto Lodz ab zu transportieren. Ihrem Vater gelingt es Syvia in einer Grube auf einem Friedhof vor den Suchkommandos der Deutschen zu verstecken. Danach muss sie in der Wohnung untertauchen, die sie von nun an, bis zur Auflösung des Gettos, nicht mehr verlassen darf.

Nach dem Ende des Gettos müssen alle Bewohner Aufstellung nehmen und werden eingeteilt in jene Gruppe, die bei den Aufräumarbeiten helfen und jene die ab transportiert werden sollen. Syvia Vater ist nicht bereit seine Familie zu verlassen und fasst einen kühnen Plan. Er konnte beobachten, dass die Soldaten ihre Personenlisten nur mehr scheinbar verfassen. Er verlässt mir seiner Familie die Reihe der jener, die für den Abtransport vorgesehen sind und versteckt seine Kinder im Keller des Hauses für die zurückbleibenden Arbeiter. Hier muss Syvia bis zu ihrer Befreiung durch die russischen Soldaten ausharren.

Jennifer Roy lässt Sylvia Perlmutter bewusst aus der Ich-Perspektive eines kleinen Kindes erzählen, das viele Dinge noch nicht verstehen kann. Viele kleine Dinge, wie der Verlust ihrer Puppe reihen sich neben dem Verschwinden von Erwachsenen und Kindern auf derselben Stufe ein. Auch die Beschwerlichkeiten und die Monotonie des Alltags, der ständige Hunger und die Sorgen und Ängste der Erwachsenen, die sie nicht ganz vor dem Kind verbergen können, werden ganz aus dem Erlebnishorizont eines Kindes vermittelt.

Mit Hilfe dieser Darstellungstechnik wird Jennifer Roy einerseits der Erlebniswelt der damals 4 - 8jährigen Sylvia Perlmutter gerecht und lässt sich andererseits die Zeit der Judenverfolgung auch für jüngere Leserinnen und Leser emotional bewältigen, indem den unvorstellbaren Grausamkeiten und Leiden Holocaustopfer die Spitze genommen wird, ohne diese zu verharmlosen.

Jennifer Roys Tatsachenroman Kellerkind ist eine überaus empfehlenswerte Auseinandersetzung mit dem Holocaust, die den jungen Leserinnen und Lesern auf pädagogisch wertvolle Weise die Schrecken der Naziherrschaft während des 2. Weltkrieges emotional näher bringt. Ganz ohne Beschreibung der entsetzlichen Grausamkeiten gelingt es Roy trotzdem, das Wesen der Entmenschlichung aus der Sicht eines Kindes zu vermitteln. Kellerkind sollte in keiner Bibliothek fehlen.

Jennifer Roy, Kellerkind. Übers. v. Ulli und Herbert Günther, ab 12 Jahren
Hildesheim: Gerstenberg-Verlag 2010, 160 Seiten, 14,40 EUR, ISBN 978-3-8369-5308-5

 

Weiterführende Links:
Gerstenberg-Verlag: Jennifer Roy, Kellerkind
Homepage: Jennifer Roy (engl.)

 

Andreas Markt-Huter, 09-09-2010

Bibliographie

AutorIn

Jennifer Roy

Buchtitel

Kellerkind

Originaltitel

Yellow Star

Erscheinungsort

Hildesheim

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Gerstenberg-Verlag

Übersetzung

Ulli und Herbert Günther

Seitenzahl

160

Preis in EUR

14,40

ISBN

978-3-8369-5308-5

Lesealter

Altersangabe Verlag

12

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Jennifer Roy wurde in den USA geboren und arbeitete früher als Lehrerin. Sie hat bisher mehr als 30 Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht und wohnt mit ihrem Mann und ihrem Sohn im Staat New York. Kellerkind basiert auf den Kindheitserinnerungen ihrer Tante Sylvia, die das Getto von Lodz überlebte.