Klaus Kordon, Im Spinnennetz

Buch-Cover

"Es gäbe keine soziale Frage, wenn die Reichen von jeher Menschenfreunde gewesen wären", bemerkte Marie von Ebner-Eschenbach bereits vor mehr als 100 Jahren zum Verhältnis von arm und reich.

Klaus Kordons Roman spielt im Berlin Anfang der 90-iger Jahre des 19. Jahrhunderts, als die Ära Bismarck gerade zu Ende gegangen war. Das Sozialistengesetz, das die Sozialdemokratie als gemeingefährliche Bewegung verurteilte und ihre Organisationen verbot, war nicht mehr verlängert worden. Die soziale Ungerechtigkeit und das Elend in den Proletariervierteln bestanden jedoch weiterhin.

Gleich zu Beginn werden die Leserinnen und Leser mit dem zentralen Thema des Buches konfrontiert: der Kampf um soziale Gerechtigkeit und politische Freiheit gegen eine alles kontrollierende und unterdrückende Staatsmacht. Der 16-jährige David Rackebrand besucht mit seiner Mutter den Großvater, der als überzeugter Sozialdemokrat wegen sozialistischer Betätigung zu vier Jahren Haft in der berüchtigten Strafanstalt Plötzensee verurteil worden war. Das Ende des Sozialistengesetzes weckt die Hoffnung, dass die Haft bald zu Ende sein wird.

Davids ganze Verwandtschaft ist politisch überaus engagiert. Sein Onkel Jakob ist Journalist und verfasst nebenbei Flugblätter und Plakate in denen er den Kaiser und seine Politik direkt angreift. Auch Davids Mutter, einer Malerin und Zeichnerin, wurde bereits wegen einer Karikatur, in der sie die Verlogenheit der Kirche anprangert hat, für sechs Woche ins Gefängnis gesperrt. Auf der anderen Seite steht Davids Onkel August, ein Arzt, der sich zwar nicht direkt politisch engagiert, dafür aber ein großes Herz für die Armen hat, um die er sich auch ohne Bezahlung kümmert.

Er hat, was der Großvater sagte, nicht Wort für Wort behalten, den Sinn seiner Worte und den Tonfall, in dem er zu ihm sprach, jedoch nicht vergessen. Wie hoffnungsvoll der Großvater war! "Weißt du, David, der Wunsch nach mehr Gerechtigkeit und Freiheit, der ist schon sehr alt und den wird"s immer geben", sagte er zum Schluss. "Und irgendwann werden wir ihn durchgesetzt haben. Brief und Siegel drauf! Dein Vater hat dafür gekämpft und deine beiden Großväter auch. Dein Großvater Rackebrand ist sogar dafür gestorben." (62)

David besucht das Gymnasium, wo er wegen seiner sozialen Herkunft und aufgrund seiner Familie einen schweren Stand bei zahlreichen Lehrern hat, die auf Drill, Zucht und Ordnung den größten Wert legen. Vor allem sein Geschichtslehrer Dr. Savitius stellt David immer wieder wegen der Verurteilung seines Großvaters und des Gefängnisaufenthalts seiner Mutter immer wieder vor der Klasse bloß.

Eines Tages lernt David die 15-jährige Anna Liebetanz kennen, als sie ihren schwerkranken Bruder zur Behandlung in die Arztpraxis seines Onkels August bringt. Er ist sofort von der direkten und frechen Art des jungen Mädchens beeindruckt, in das er sich verliebt. Er erfährt, dass Anna ein schweres Leben führt, sich ihre Eltern fast nicht um sie und ihre Geschwister kümmern und dass sie die ganze Familie mit ihrer schlecht bezahlten Arbeit in einem Knopfladen ernähren muss.

David drängt es sich selbst gegen das politische und soziale Unrecht zu engagieren und er unterstützt seinen Onkel Jakob bei der Verteilung von Flugblättern und Plakaten. Das geht so lange gut, bis ihn die Polizei eines Tages beim Kleben von Plakaten erwischt, auf denen die Freiheit für alle politischen Gefangenen gefordert wird. David wird vom Gymnasium verwiesen, was ihn jedoch weniger stört, will er doch viel lieber wie sein Vater und Großvater Zimmermann werden und sich mit Anna eine Zukunft aufbauen.

Klaus Kordon vermittelt in seinem überaus spannend zu lesenden Roman ein Stück Sozialgeschichte und politische Geschichte. Er schildert den schweren Kampf um politische und soziale Gerechtigkeit und zeigt die Helden der sozialen Bewegung, die trotz aller polizeistaatlichen Maßnahmen sich nicht von ihrem gefährlichen Kampf abbringen ließen.

Der Roman überaus empfehlenswerter Roman schildert die unterschiedlichen sozialen Verhältnisse, auf der einen Seite die Reichen, die sich von allen bedroht fühlen und auf der anderen Seite die Armen, ohne Arbeit oder mit Löhnen, von denen sie oft nicht überleben können. Kordon erzählt vor allem aber auch eine wunderbare Liebesgeschichte, wo über alle sozialen Grenzen hinweg, zwei junge Menschen zueinander finden. Ein bunter Regenbogen, in deren Hintergrund die Geschichte des politischen und sozialen Lebens jener Zeit lebendig wird.

Klaus Kordon, Im Spinnennetz. Die Geschichte von David und Anna, ab 12 Jahren. Roman
Weinheim: Verlag Beltz & Gelberg 2010, 560 Seiten, 20,60 EUR, ISBN 978-3-407-81071-7

 

Weiterführende Links:
Verlag Beltz & Gelberg: Klaus Kordon, Im Spinnennetz
Wikipedia: Klaus Kordon

 

Andreas Markt-Huter, 18-12-2011

 

 

Bibliographie

AutorIn

Klaus Kordon

Buchtitel

Im Spinnennetz. Die Geschichte von David und Anna

Erscheinungsort

Weinheim

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Beltz & Gelberg Verlag

Seitenzahl

560

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-407-81071-7

Lesealter

Altersangabe Verlag

12

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Klaus Kordon wurde 1943 im Berliner Nordosten geboren. Der Vater blieb im Krieg und die Mutter starb 1956. Er kam ins Kinderheim, später ins Jugendheim. Er studierte Volkswirtschaft und nach einem Jahr politischer Haft in der DDR zog er in die BRD. Heute lebt er in Berlin.