Schulbibliothek Juni - Lesevorbild Lukas

Lukas leidet von seiner Geburt an am Treacher-Collins-Syndrom, einer genetischen Erkrankung, welche Fehlbildungen im Gesicht zur Folge hat. Meistens betroffen sind unter anderem die Ausbildung der Ohren, Augenlider und die Ausformung der Kiefer.

In der Folge wird häufig die Artikulation beeinträchtigt und aufgrund der Hörschädigung erfolgt die Sprachentwicklung unter erschwerten Bedingungen. Wie sieht es dann mit dem Leseerwerb aus? Im folgenden Interview möchte Lukas mit seinen Eltern und der Beratungslehrerin Sieglinde Schönauer Mut machen. Denn gleich vorweg: In der vierten Klasse Volksschule war Lukas nach dem SLS (Salzburger Lesescreening) der beste Leser seiner Klasse.

Im Anschluss daran gibt seine Beratungslehrerin Sieglinde Schönauer noch ein paar Tipps, worauf es beim Lesenlernen in der Schule mit hörbeeinträchtigten Kindern besonders ankommt.

Lesen in Tirol: Lieber Lukas, du besuchst derzeit mit viel Erfolg die erste Klasse Hauptschule. In Mathematik und Deutsch bist du in der ersten Leistungsgruppe. In Englisch wird ein Aufstufen in die erste Leistungsgruppe ab Herbst möglich. Wirst du in der Schule extra betreut?

Lukas: Ja, ich bekomme pro Woche eine Stunde  Unterstützung von der Integrationslehrerin, sie hilft mir allgemein, in welchem Fach immer ich Bedarf habe. 

Lesen in Tirol: Kannst du dich noch an das Lesenlernen in der Volksschule erinnern? Musstest du mehr üben? Gab es Hindernisse für dich?

Lukas: An viel kann ich mich nicht mehr erinnern. Schwer war es für mich in der ersten Klasse Silben zu Wörtern zu verbinden und diese korrekt auszusprechen. Für einige Leute ist es auch heute noch schwer mich zu verstehen. Das erschwert natürlich die Kommunikation. 


Lukas in der 2. Klasse Volksschule

Lesen in Tirol: Wie erlebten das deine Eltern? Was waren die Befürchtungen beim Schuleintritt? Was hat geholfen?

Mutter Margit: Am meisten Sorge hatten wir Eltern, dass Lukas aufgrund seines Aussehens von den Mitschülern/innen gehänselt und nicht in die Gemeinschaft aufgenommen wird. Da half, dass Freunde aus dem Kindergarten mit ihm in die Klasse eingeteilt wurden, die ihn schon gut kannten und verstanden, und dass die Beratungslehrerin Sieglinde Schönauer und die Volksschullehrerin mit der Klasse ein paar Einheiten zum Thema gearbeitet hat. So durften alle Kinder auch einmal das Hörgerät ausprobieren...
Die Volksschullehrerin gab mir gleich in den ersten Wochen Übungsmaterialien für zu Hause mit. Unter anderem bestellten wir die Übungs-CD des computerunterstützten Leselernprogrammes. So konnte Lukas in aller Ruhe daheim die neuen Buchstaben, Silben und Wörter ohne Arbeitslärm in der Klasse in seinem Tempo wiederholen. Speziell die Herbstferien haben wir intensiv genützt und jeden Tag geübt. Von da an ging es immer leichter. Auch die Integrationslehrerin half in jeweils vier Stunden pro Woche Lukas, sodass er von Anfang an gut mithalten konnte.

Vater Hannes: Auch ich war am Schulbeginn sehr nervös. Doch es ging alles gut und Lukas war sehr fleißig und brav. Die Inhalte wurden teilweise im offenen Lernen mit allen Sinnen spielerisch vermittelt. So gab es alle neuen Buchstaben, Silben und Lernwörter auch zum Fühlen. In der Klasse war Lukas von Anfang an integriert.

Lesen in Tirol: Welche Erstlesebücher hast du, Lukas, gelesen? 

Lukas: Ich liebte Rittergeschichten, Tiergeschichten, Grusel- und Abenteuergeschichten.

Lesen in Tirol: Du warst und bist ein häufiger Nutzer der Schulbibliothek. Welche Bücher empfiehlst du deinen gleichaltrigen Mitschülern/innen?

Lukas: Meine Lieblingsbuchreihen sind: Warrior Cats, Charlie Bone, Percy Jackson, Hot Dogs... - ich lesen am liebsten spannende Bücher.


Lukas mit seinen Buchempfehlungen

Lesen in Tirol: Was bedeutet das Lesen für dich?

Lukas: Ich wurde nie von jemanden zum Lesen gezwungen. Als ich es konnte, hat es mir riesigen Spaß gemacht, in die spannenden Geschichten einzutauchen. Das Lesen hat mir auch in schwierigen Situationen sehr geholfen. Durch meine Krankheit musste ich ja oft ins Krankenhaus und durch das Lesen wurde ich abgelenkt und die Zeit verging viel schneller. Das Lesen strengt mich viel weniger an als das Hören.
Ich lese im Durchschnitt fünf bis sechs Bücher in der Woche und bin froh, dass wir schon in der Volksschule und auch jetzt in der Hauptschule eine Schulbibliothek haben.

Lesen in Tirol: Liest du auch viel am Computer?

Lukas: Nein, ich halte lieber ein Buch in meinen Händen und lege mich gemütlich auf das Sofa zu meiner Katze Bärli. Auch jeden Abend vor dem Einschlafen greife ich noch zu einem Buch... Am Computer lese ich nur Spielanleitungen für meinen Game Boy und meine anderen Computerspiele. Natürlich sehe ich mir auch gerne Filme auf You Tube an.


Lukas mit seiner Mutter Margit und Katze Bärli

Lesen in Tirol: Was sind deine Lieblingsfächer in der Schule. Hast du schon Wünsche für deine berufliche Ausbildung?

Lukas: Meine Lieblingsfächer sind Biologie, Geografie und Wirtschaftskunde und Soziales Lernen. Am wenigsten mag ich derzeit Mathematik... Auf jeden Fall möchte ich die Matura machen und später vielleicht einmal in der Forschung arbeiten.


Beratungslehrerin Mag. SOL Sieglinde Schönauer vom Zentrum für Hör- und Sprachpädagogik in Mils:

Lesen in Tirol: Liebe Sieglinde, seit wann betreust du Lukas und inwiefern hat sich deine Arbeit mit ihm bis jetzt verändert?

Sieglinde Schönauer: Ich betreue Lukas seit der ersten Klasse Volksschule. Anfangs brauchte er mehr Unterstützung meinerseits, doch Lukas hat sprachlich große Fortschritte gemacht und seine Aussprache wurde immer verständlicher. Er konnte dem Unterricht sehr gut folgen, seine Lehrerinnen haben ihn gut verstanden und so konnte ich meine Beratung immer mehr zurücknehmen.


Beratungslehrerin Sieglinde Schönauer im Gespräch

Lesen in Tirol: Was ist aus deiner Sicht für den Erstleseunterricht bei Kindern mit Hörbeeinträchtigungen und Sprachentwicklungsrückständen wichtig?

Sieglinde Schönauer:  Der Erstleseunterricht unterscheidet sich nicht vom Unterricht hörender Kinder. Manche hörgeschädigte Kinder brauchen mehr Zeit und mehr Übungen, um Lesen zu lernen, weil sie wegen ihrer Hörschädigung einen kleineren Wortschatz haben. Dann verstehen sie die Bedeutung der Wörter nicht. Diese muss man ihnen erklären, aufzeichnen, zeigen. Eine gute logopädische Betreuung parallel zum Unterricht ist sehr wichtig.

Lesen in Tirol: Was sollte man im Unterricht unbedingt vermeiden?

Sieglinde Schönauer:  Alles, was die Neugierde aufs Lesen und die Wissbegierde kleiner macht oder schwächt. Eine feine Atmosphäre in der Klasse ist für alle Kinder förderlich, für die hörgeschädigten Kinder auch, ein spannender Unterricht mit Humor hilft sehr.

Lesen in Tirol:  Wie viele Kinder mit Hörbeeinträchtigungen werden heuer in Tirol an den Pflichtschulen integriert unterrichtet?

Sieglinde Schönauer:   Es sind derzeit 150 Mädchen und Buben, die die Schule in ihrem Heimatort besuchen und von uns Beratungslehrern/innen beraten und betreut werden.

Lesen in Tirol:  Kannst du betroffenen Lehrer/innen und Eltern diesbezüglich Literaturempfehlungen geben?

Sieglinde Schönauer:  Das ist nicht so einfach, weil es ja vom Sprachstand des Kindes abhängt. Ich empfehle Bücher, die sprachlich dem Niveau des Kindes entsprechen, die schöne, kindgerechte Bilder haben. Im Erstleseunterricht eignen sich Bücher, die weniger Text haben. Die Bücher sollen den Kindern gefallen - und der Geschmack ist sehr unterschiedlich, bei den hörgeschädigten Kindern auch. Einfach ausprobieren, nur Mut, man kann nicht viel falsch machen!

Lesen in Tirol: Gibt es Bücher, welche du Betroffenen empfiehlst?

Sieglinde Schönauer: Ich würde folgende Titel empfehlen:

 
Ina hört anders. Vom Hören mit Hörgeräten. Sybille Gurtner May, Verlag Atlantis


Ein Elefant mit rosarote Ohren. Barbara Resch, Jungbrunnen-Verlag


Ohren wackeln, Beine zappeln. Miriam Cordes, Ravensburger Verlag


Zwei lange, lange Ohren. Klaus Baumgartner und Til Schwaiger, Baumhaus Verlag


Der Hase mit den himmelblauen Ohren. Max Bollinger, NordSüd Verlag


Mit diesem Zeichen. Hannah Green, Rowohlt Tb Verlag (für Erwachsene)

Lesen in Tirol: Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg und  Freude mit dem Lesen.
 



Quelle oder Autor/-in: Dina Überall (21.06. 2010)

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