Paul Thuile, Staatsstraße 21

Buch-CoverÜblicherweise kommt die Kunst in frische Gebäude, wird manchmal konzeptuell bei der Errichtung des Bauwerks mitgedacht oder nach Vollendung des Baus als Behübschung mit schlechtem Gewissen angefertigt.

Wenn Paul Thuile auf den Bau kommt, ist alles schon gelaufen und quasi hin. Paul Thuile sucht sich Abbruchhäuser und zeichnet ihnen noch einmal alles voller Inbrunst hinein, ehe sie dann endgültig abgerissen oder unwiederbringlich umgebaut werden.

Adressen wie "Museumstraße 27", "St.-Gertraud-Platz 5", "via Saragozza" oder eben "Staatsstraße 21" werden zur Galerie auf Zeit. Denn die Wände werden genützt wie in echten Galerien, aber die Motive sind irritierend. Um ein Fenster mit kaputter Jalousie wird mit Bleistift ein Fenster mit kaputter Jalousie gezeichnet, die Öffnungsstange für eine Lüftung wird zu einer gezeichneten Öffnungsstange, ein Waschbecken aus vergangener Zeit wird zu einem Waschbecken, mit sanftem Wasch-Bauch hängt die Zeichnung an der Wand und das Gezeichnete fällt scheinbar ständig nach vorne.

Die Zeichnungen sind Bauanleitungen, die das Verputzte frei legen, Regieanweisungen für etwaige Arbeitsschritte im Raum, aber auch Dechiffrierungen, wenn beispielsweise neben einem Wandtresor aufgezeichnet ist, was vielleicht im Safe deponiert ist.

Letztlich zeigt die Zusammenführung der beiden langatmigen Elemente Kunst und Bauwerk die Zerbrechlichkeit ewiger Werte auf. Die Zeichnungen schreien geradezu danach, noch schnell angeschaut zu werden, denn an den Rändern vergehen sie schon, lösen sich vor den Augen des Betrachters auf in Bauschutt.

Die Zeichnungen selbst sind fragil und überdimensioniert, für diesen feinen Strich ist oft die Wand zu groß. So wird der Betrachter die Zeichenspur entlang geführt wie es in diesem Bauzustand oft nur Ritzen des Verfalls tun.

Paul Thuiles Konzept ist witzig und wegen der Vergänglichkeit äußerst realistisch. Man denke etwa an die Diskussion, ob man beim Umbau des Innsbrucker Hauptbahnhofs die Weiler-Fresken nicht hätte samt dem Bauschutt entsorgen sollen, immerhin sind Fresken fest mit dem Mauerwerk verbunden. Bei Paul Thuile stellt sich diese Frage nicht, er zeichnet für die Entsorgung und wird dadurch zeitlos.

Paul Thuile: Staatsstraße 21. Mit Texten von Beate Ermacora, Oswald Oberhuber, Marion Piffer Damiani. Deutsch / italienisch / englisch. Abb.
Wien, Bozen: Folio 2005. 129 Seiten. EUR 25,-. ISBN 3-85256-306-2.

 

Helmuth Schönauer, 04-10-2005

Bibliographie

AutorIn

Paul Thuile

Buchtitel

Staatsstraße 21

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Folio

Seitenzahl

129

Preis in EUR

EUR 25,-

ISBN

3-85256-306-2

Kurzbiographie AutorIn

Paul Thuile, geb. 1959 in Bozen, lebt in Gargazon.

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