Nina Schröder, weißt du was schnee ist

Südtiroler Anthologien erkennt man leicht daran, dass sie meist auf ein Gedicht von N.C. Kaser antworten. Auch bei den frechen Weihnachtsgeschichten ist es so, die Zeile vom frisch gefallenen Schnee stammt naturgemäß aus einem Kaser-Gedicht.

Als Vorüberlegung zum Weihnachtsfest stellt Nina Schröder die These auf, dass wir alle an Mangel leiden und zu Weihnachten schließlich das Hochamt des Mangels stattfindet. Alles, was wir an Gefühlen, Konsum und Ideen das Jahr über vermissen, soll an diesem Fest rasch und flutschig nachgeholt werden. Kein Wunder also, wenn Weihnachten manchmal etwas unrund abläuft.

Für die Sammlung haben über zwanzig Südtiroler Autorinnen und Autoren ihre Schatztruhe aufgemacht und die Weihnachtsgeschichte hervorgeholt, denn wie jedes alte Bauernhaus eine Weihnachtskrippe zum Hausrat zählt, hat jeder Dichter seine Weihnachtsgeschichte griffbereit, wenn danach gerufen wird.

Joseph Zoderer etwa erzählt von einem Onkel, der dem Christkind jährlich zuschauen darf, während es den Christbaum aufstellt.

Die Weihnachtsgeschichten von Sepp Mall und Elfriede Kehrer verdichten sich zu klirrenden Gedichten, worin das Weihnachtsglöcklein in der kalten Luft der Gebirgslandschaft mitten im Klang zerspringt. Bei Matthias Schönweger essen die Kinder zu Weihnachten alles auf, wie es ihnen die Werbung vormacht, freilich wird dabei das Weiß der Reinigungsmilch getrunken, bis auch der Stuhl weiß daherkommt vor Reinlichkeit.

Anna Stecher stellt sich die Weihnachten chinesisch vor, immerhin lebt sie schon längere Zeit in Peking, Kurt Lanthaler lässt einen Säugling an Land gehen und eine frohe Botschaft absetzen.

Ziemlich wild und ungewöhnlich geht es bei Herbert Rosendorfer zu, die heilige Familie ist türkisch, kommt in keiner Herberge unter und der Säugling stirbt noch in der ersten Nacht an Kälte und Abgewiesenheit.

Bei Margareth Obexer rast ein Auto über die herrliche Winterschneefahrbahn hinaus in die frei weihnachtliche Fläche, die drin sitzende Familie stirbt und unterhält sich quasi im Jenseits über den Sinn von Weihnachten und den Sinn des Lebens überhaupt.

Wollte man Weihnachten abschaffen, müsste man zuerst die Familie abschaffen, heißt es bei Alexander Kluge. Also sind Leser und Dichter gut beraten, jederzeit frische Weihnachtsgeschichten in Reichweite zu halten, denn einen Anlass für weihnachtliche Eskapaden gibt es schier das ganze Jahr über.

Die Südtiroler Autorinnen und Autoren sind ihre Geschichten deshalb beinahe zeitlos skurril angegangen, kaum an einer Stelle merkt man spezifisch Südtirolerisches. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass Weihnachten längst ein globales Ereignis geworden ist, bei dem niemand mehr Anfang und Ende zu erkennen vermag.

Nina Schröder (Hg.): weißt du was schnee ist / frisch gefallener? Weihnachtsgeschichten von Südtiroler Autorinnen und Autoren.
Bozen: Edition Raetia 2005. 159 Seiten. EUR 25,-. ISBN 88-7283-218-7.

Helmuth Schönauer, 16-11-2005