Gesellschaft | Kultur

Bernhard Hüttenegger, Wer seinen Sohn liebt

h.schoenauer - 24.09.2024

bernhard hüttenegger, wer seinen sohn liebtDas schriftstellerische Werk gilt Meistern erst dann als abgerundet, wenn darin jene Kindheit erzählt ist, die zum Schreiben geführt hat.

Bernhard Hüttenegger hat all seine Schreib-, Erinnerungs- und Bildkraft aufgeboten, um aus der Erfahrung einer geglückten Berufswahl zu erzählen, welche stummen Leiden und sprachlosen Gesten dafür notwendig gewesen sind. Der geschäftigen Welt entrückt sitzt im Schlussbild der Sohn an einem norwegischen Fjord, und lässt seine Gedanken an der Kante zwischen Witterung und Wasser oszillieren. In einer versöhnlich-pädagogischen Coda ist ein Sohn zum Sohn geworden.

Hans Martin Krämer, Geschichte Japans

andreas.markt-huter - 23.09.2024

hans martin krämer, geschichte japans„Das vorliegenden Buch ist […] keine antiquarische Historie, sondern geht genealogisch von der japanischen Gesellschaft und Kultur im globalen Kontext aus, wie sie sich uns heute präsentiert, und sucht deren Entstehung historisch zu erhellen. Dabei gebührt der vormodernen Geschichte eine ausführliche Behandlung, allein schon, weil sie Referenzpunkt zahlreicher Identitätsaussagen in der Gegenwart ist.“ (S. 8)

Hans Martin Krämer bietet in seinem Sachbuch einen kompakten Überblick über die Geschichte Japans von ihren Anfängen bis in die Gegenwart und zeigt dabei die wichtigsten Stationen der kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung des Landes. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die wechselseitigen Beziehungen im engeren wie globalen Umfeld gelegt.

Silke Müller, Wer schützt unsere Kinder?

andreas.markt-huter - 21.09.2024

silke müller, wer schützt unsere kinder„Es ist fünf nach zwölf. Wir können es uns nicht leisten, zu warten. Es ist entscheidend, dass wir uns sofort mit den Grundlagen und Auswirkungen der KI auseinandersetzen.“

Silke Müllers Buch „Wer schützt unsere Kinder? Wie künstliche Intelligenz Familien und Schule verändert und was jetzt zu tun ist“ ist wie auch ihr Erstlings-Werk „Wir verlieren unsere Kinder“ ein Bestseller. Die Autorin betont die Ambivalenz von Social Media bzw. Internet und zeigt eine Welt, die von Technik stark beeinflusst ist.

Der Titel verspricht Lösungen in einer durchaus fordernden Zeit. Dass es diese Lösungen braucht, veranschaulicht die Autorin durch Fallbeispiele aus dem Schulleben. Hier dürften es meiner Ansicht nach durchaus mehr davon sein. Die Lösungen, die Silke Müller vorschlägt, sind jedoch komplex und nicht so schnell umsetzbar. Sie reichen von einem neuen Arbeitszeitmodell für Lehrer:innen über den Abbau von Föderalismus bis zu landesweiten Kampagnen, die von der Politik initiiert werden sollten.

Kurt Drawert, Alles neigt sich zum Unverständlichen hin

h.schoenauer - 17.09.2024

kurt drawert, alles neigt sich zum unverständlichen hinDas Thema eines jeden Langgedichts ist der Atem, nur wer den sprichwörtlich langen Atem hat, kann es lesen oder schreiben.

Kurt Drawert setzt alles auf eine Karte und arrangiert „es“ zu einem Langgedicht. Der poetische Atem wird fürs erste nur unterbrochen durch die Bewegung des Umblätterns. Ein wenig später jedoch tut sich eine erste Struktur auf: In vierzehn Paragraphen wird die Materie zerteilt wie auf einem Verschiebebahnhof, um bald darauf wieder in neuer Zusammenstellung aus dem Gedächtnis-Knoten zu rollen.

Die Paragraphen sind mit Überschriften versehen, die eine vage Richtung angeben, wohin zu denken ist. „Die Würde des Menschen ist. / Das Ypsilon der Hysterie. / Anfang + Ende. / Die letzte Stunde. Vor den Spätnachrichten. / Psalmen. Gebete.“

Helwig Brunner, Flirren

h.schoenauer - 16.09.2024

helwig brunner, flirrenEin guter Zukunftsroman lässt sich mit der Hochrechnung für einen Wahlabend vergleichen, die Stimmen sind abgegeben und werden ausgezählt, die Spannung steigt, und das Ergebnis wird mit der Prognose halbwegs übereinstimmen.

Helwig Brunner arbeitet mit seinem beruflichen Standbein in einem ökologischen Planungsbüro, während er sich als Schriftsteller mit dem Spielbein für „klimarelevante Desaster“ interessiert. Mit dieser Beidbeinigkeit ist auch der Held des Romans „Flirren“ ausgestattet, der von sich sagt, er sei „doppelt gefordert als schreibender Wissenschaftler und forschender Literat“. (63) Der Erkenntnisgewinn aus wissenschaftlichen Versuchsreihen und assoziativen Fiktionen ist wohl auch das geheime Thema des Romans.

Erwin Uhrmann, Zeitalter ohne Bedürfnisse

h.schoenauer - 13.09.2024

erwin uhrmann, zeitalter ohne BedürfnisseWenn keine Bedürfnisse mehr da sind, hat man sie entweder selbst erfüllt, oder sie sind von sich aus abgehauen und haben die bisherigen Bedürfnisträger entleert zurückgelassen.

Erwin Uhrmann nimmt gleich vom Titel an die Leser in die Pflicht. Er stellt zwar ein Ambiente für Utopie und Dystopie zur Verfügung, die Text-User aber müssen je nach ihren Bedürfnissen sich den Roman selbst ausmalen. Das ist übrigens bei allen Romanen üblich, die nicht ein vorinstalliertes Klischee abhandeln.

„Zeitalter ohne Bedürfnisse“ lässt also ein paar Figuren auftreten, die wie beim „Mensch-ärgere-dich-nicht“ nach einer selbst-gewürfelten Zahl ein paar Schritte machen, ehe sie wieder vom Feld geworfen werden. Das Spielfeld selbst ist seltsam allgemein ins Auge gefasst als eine Landkarte ohne irgendwelche Ortsangaben. Ab und zu fallen geographische Begriffe wie Himmelsrichtungen, beispielsweise Wien, Polen oder Meer, es ist jedoch den Lesern überlassen, wie sehr sie diese Angaben mit eigenen Bildern unterlegen.

Christian Futscher, Der Erbsenjongleur

h.schoenauer - 09.09.2024

christian futscher, der erbsenjongleurErbsenzählen und die Prinzessin auf der Erbse – der Erbsenjongleur ist als Märchenerzähler bestens eingekleidet mit Stoff.

Christian Futscher tritt mit seinen gut vierzig Kleinodien als Märchenerzähler, Text-Wirt, Flaneur und pingelig dahin werkelnder Schriftsteller auf. Seine Miniaturen widmen sich allen erdenklichen Genres und werden dementsprechend kurz angebunden abgehandelt.

„Die letzte Seite eines Tagebuchs // Heute bin ich leider gestorben. Jetzt geht gar nichts mehr.“ (53)

Roger Van de Velde, Knisternde Schädel

h.schoenauer - 02.09.2024

roger van de velde, knisternde schädelIn der Literatur werden Geschichten manchmal so heiß, dass man sie nur erzählen kann, wenn man gleichzeitig die Kühlelemente beschreibt, die zu ihrem Schutz installiert worden sind. „Knisternde Schädel“ sind zwanzig kleine Geschichten, die unter Überdruck in der Psychiatrie entstanden sind. Das Knistern im Kopfinnern diverser Helden deutet darauf hin, dass darin andere atmosphärische Drücke herrschen als in der sogenannten normalen Welt.

Der Journalist und Schriftsteller Roger Van de Velde wird zwangsweise und ungeplant zu einem Medium, das die Druckverhältnisse in den Schädeln von Psychiatrie-Insassen als Geschichten wiedergibt und über seine Frau in Zigarettenschachteln nach draußen schmuggeln lässt, wo angeblich die Realität vorherrscht.

Bartholomäus Holzhauser, Die geheimen Visionen des Bartholomäus Holzhauser

h.schoenauer - 19.08.2024

bartholomäus holzhauser, die geheimen visionen des bartholomäus holzhauserBei der Beschäftigung mit „heimatlicher Chronik“ treten unter dem Schutt von Trivia immer wieder kleine Zeitkapseln zu Tage, worin dokumentiert ist, dass ein großer Geist an einem kleinen Ort gewohnt hat und darin vergessen worden ist.

Hannes Hofinger geht mit seinem bodenständigen Verlag konsequent die historischen Substanzen seiner Gemeinde St. Johann durch und wird fündig. Ab und zu befreit er einen Fund vom Staub der Zeit, lässt ihn historisch begutachten und veröffentlicht das Ganze als kleines Faksimile.

Von dieser bibliothekarischen Naturneugierde beseelt hat er kürzlich unter der fachlichen Kommentierung von Peter Fischer die „geheimen Visionen des Bartholomäus Holzhauser“ herausgebracht.

Reinhard Wegerth, Die besten Wunder

h.schoenauer - 05.08.2024

reinhard wegerth, die besten wunderSuche den Kern der Hülle! – In der Literatur gibt es ständig neue Rätsel zu lösen, deren Lösungen später wieder zum Aufbau neuer Rätsel genutzt werden können. Reinhard Wegerth nimmt die „besten Wunder“ aus den Gründungsmythen von Islam und Christentum unter seine literarischen Fittiche, indem er sie ohne Vorurteile behutsam aus dem religiösen Kontext schält und als Präparate der Fiktion unter das Lektüre-Mikroskop legt.

Während das Genre Wunder in der Hauptsache bei religiös funktionierenden Geschichten zum Einsatz kommt, ist der Ausdruck „Mirakel“ schon ziemlich profan gedeutet. Schließlich steht beim Mirakel eher der Unterhaltungswert eines Ereignisses im Vordergrund, und das Staunen als Zeitvertreib ersetzt den moralisch dehydrierten Zeigefinger.