christian schacherreiter, das liebesleben der stachelschweineAuf der Suche nach seiner Identität wird Österreich schon mal mit einem Schloss verglichen, das Jahrhunderte überdauert hat (Tumler, Schloss in Österreich), oder mit einem von der Roten Armee in den Verfall getriebenen Marchfeld-Gütchen (Fritsch, Moos auf den Steinen). In einer gegenwartsbezogenen Deutung bietet sich an, es mit Österreich als Biomüllanlage zu versuchen.

Christian Schacherreiter zeigt diese Österreichische Seele am Beispiel einer ausgeisternden echten „Nazifamilie“ und eines toten Seitenstumpfs der Sozialdemokratie. Beide Ideologien sind als Familiensaga miteinander verknüpft, wie ein Blick in den Vorspann zeigt, wo im Stile von Doderers Merowingern die Stammbäume ohne Kastrationen ausgerollt sind.

egyd gstättner, ich bin kaiserPatriotisches Selbstbewusstsein kann manchmal in einen Cäsarenkult übergehen, wenn das Land mitspielt und den darin geäußerten Wahnvorstellungen ein Revier gibt. Das bayrische „Mia san mia“ ist genauso patriotisch-pfiffig, wie das berüchtigte „Ik bin ein Berliner“. Da ist die Weltformel eines Österreichers geradezu romantisch: Ich bin Kaiser.

Egyd Gstättner nennt seinen jüngsten Erzählband über österreichischen Wahnsinn schlicht: Ich bin Kaiser. Dabei lässt er offen, ob nicht schelmisch der Kärntner Landeshauptmann gemeint sein könnte. Denn die Glaubwürdigkeit für seine Geschichten leitet er von der Überlegung ab, dass die Storys automatisch „tolldreist“ werden, wenn man sie so erzählt, wie die offizielle Geschichtsschreibung täglich als Fernsehprogramm des Staatsfunks auftritt.

wolfgang pollanz, der mann, der sich weigerte, die badewanne zu verlassenDas Genre „Minidrama“ wird oft den Beatniks zugeschrieben, weil diese sich längst am Rand großer Dramen ansiedelt haben. Wenn die Mittel so beschränkt sind, dass es nicht einmal für Bühne, Kulisse, Vorhang – geschweige denn für einen Souffleurkasten – reicht, dann bleibt als letzter Ausweg nur das Minidrama. Darin ist die Autorenschaft des prekären literarischen Lebens bestens geschult. Jeder, der am Rand der Event-Kultur lebt, hat zumindest ein Minidrama in der Tasche, mit dem sich Zutritt in die Theaterwelt des Alltags verschaffen lässt.

Die Kulturinitiative „Kürbis“ hat unter diesem Gesichtspunkt einen kleinen Wettbewerb ausgelobt, mindestens 160 Mini-Dramatikerinnen haben sich ansprechen lassen, die Jury (Daniela Strigl, Karin Wozonig, Peter Faßhuber) hat zehn davon für ein „Wies-Festival“ in Wies in der Steiermark ausgesucht. Fünfzehn Stücke sind in einem Sammelband dokumentiert.

gerd busse, typisch belgischWenn die EU sich Brüssel als Hauptstadt unter den Nagel gerissen und ihre Nationen als austauschbares Ganzes eingebracht hat, ist dann noch etwas übrig für „typisch belgisch“?

Und wenn die Globalisierung alles verschiebbar oder universal-kompatibel gemacht hat, muss dann nicht jedes Land erst recht aufstehen, um sich mit ein paar typischen Dingen eine Restidentität zu verschaffen, ohne gleich in den Nationalismus überzuschwappen?

helmuth schönauer, antriebsloser frachter vor norwegen„In der Erinnerung ist etwas fixiert / indem eine gültige Fassung abgespeichert ist im Hirn / du denkst nicht mehr daran / dass es eine Alternative gegeben hätte damals / sondern alles ist unverrückbar gültig / wie ein Flugschreiber einer abgestürzten Maschine / der Flug mag zwar ungünstig ausgegangen sein / die Daten freilich sind fix“ (S. 16)

Erinnerungen werden trüb und verschwimmen im Laufe der Zeit. Nur die festgehaltenen Wahrnehmungen fixieren sich und werden zur vergangenen Realität. Lyrisch poetische Erinnerungen und Betrachtungen fixierter Ereignisse befreien den eingefrorenen Blick und eröffnen einen Neuen.

helmuth schönauer, outlet„»Wenn du keine Shortstory zusammenbringst, stecken wir dich ins Altersheim!« Die Kinder sind gnadenlos, zumal sie gut ausgebildet sind. Sie haben Entertainment, Psychologie, Theologie und Politikwissenschaft studiert, lauter Fächer, die den Vater in die Verwahrung bringen können, wenn er nicht mehr richtig drauf ist auf seiner blassen Lebensspur.“ (S. 7)

Der Ich-Erzähler ist pensionierte Bibliothekar und von da her schon immer auf Du und Du mit Geschichten. Aber jetzt gerät er unter finalem Lebensdruck, muss er doch jeden Monat mit einer Kurzgeschichte unter Beweis stellen, dass er noch nicht die nötige Demenz für das Altersheim erreicht hat.

alfred paul schmidt, die logik der schattenDer Aphorismus ist ein Brühwürfel, der eine würzige Argumentationskette auslöst, wenn man ihn ins Gespräch wirft.

Alfred Paul Schmidt blickt auf ein reiches Schriftstellerisches Leben zurück, dabei kristallisieren oft ganze Bücher und Schriftsätze zu Aphorismen aus. Außerdem hat der Autor eine Zeitlang wöchentlich einen Aphorismus für eine Zeitung geschrieben. Das Brüh-Verfahren dafür ist originell, jeden Tag entsteht ein guter Spruch, und am Wochenende setzt der Redakteur einen davon in die Zeitung. So entstehen über-konzentrierte Textzeilen, die wahrlich aus dem Alltagsgeschehen ausbrechen und das Zeug für die Zeitlosigkeit haben.

agnes heller, was ist komisch?„Dieses Buch sollte als Versuch gelesen werden, über das Phänomen des Komischen im Allgemeinen philosophisch nachzudenken. Soviel ich weiß, ist dies der erste Versuch, dies zu tun. […] Mein Buch soll keine Zusammenfassung sein, sondern eine Ouvertüre. Es ist nicht provokant, auch wenn Form und Inhalt vielleicht stellenweise provokant wirken. Ich hoffe, es wird angefochten, zurückgewiesen oder lächerlich gemacht. Nur dann kann ich von einem Erfolg ausgehen.“ (S. 9)

Ágnes Heller stellt ihr Nachdenken über die Komödie in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen und bezieht sich dazu auf Romane, Komödien, Gemälde oder Filme, die sie selbst gelesen oder gesehen hat. Unabhängig von Sekundärliteratur versucht sie dazu ihr eigenes Verständnis der jeweiligen Kunstwerke darzulegen und „über komische Phänomene nachdenken und nicht bloß Informationen darüber sammeln“ (S. 9).

helmuth schönauer, nie wieder tirol„Tirol ist ein mehr oder weniger gelungener Bluff, der die Leute über den Tisch zieht, sobald jemand das Land betreten hat. Es gibt in Tirol nichts, was Sie nicht zu Hause in besserer Qualität haben könnten.“ (S. 5)

Die beiden jungen bayerische Startup Unternehmer Cum und Kim wollen in Tirol eine App entwickeln, mit deren Hilfe man sich in Tirol umschauen kann, ohne nach Tirol fahren zu müssen. Auf ihrer Fahrt nach Tirol werden sie nach zahlreichen gescheiterten Versuchen erkennen, dass es unmöglich ist, in das total „verstaute“ Land einzureisen.

jonathan perry scherbenScherben sind ein faszinierendes Gebilde voller Widerstand und Querköpfigkeit. Meist sind sie Elemente aus einem größeren Ganzen, das zu Bruch gegangen ist, oft liegen sie in trockenem Gelände herum und lösen bei gutem Sonnenlicht heftige Waldbrände aus. Und kaum geht man barfuß, tritt man sich trittsicher etwas ein, was sich spontan in einem Schmerzseufzer entlädt.

Jonathan Perry hat poetische Scherben ausgelegt, die durchaus scharfkantig wie ihre physikalischen Wiedergänger als Poetische Scherben aufstacheln und irritieren sollen. Dabei hält sich der Autor durchaus an das Sprichwörtliche nach dem Motto „Scherben bringen Glück“.