Amina Abdulkadir, Alles, nichts und beides
Alles, nichts und beides sind radikale Mengenangaben, wo es keinen Nachlass oder Rabatt gibt. Alles, nichts und beides ist eine Überlebensformel, die für alle wesentlichen Themen in Frage kommt: Liebe, Tod, Bleiben, Weggehen.
Amina Abdulkadir nennt die Anwendung ihrer Lebensformel Kürzestgeschichten, denn sie sind das radikalste Narrativ, das es für eine Ausnahmesituation gibt. Diese Geschichten haben oft die Gestalt eines Stachels und werden dem anwesenden Fleisch eingerammt als Mahnmal, Gedächtnisstütze oder Erinnerungs-Pikser.
Wenn eine Berühmtheit etwas sagt, können auch sogenannte blöde Sätze äußerst wertvoll werden. Der Sager „Innsbruck selbst ist eine unwohnliche, blöde Stadt“ wird zwar für richtig gehalten und tausendmal am Tag ausgesprochen, aber erst dass dieser Satz von Heinrich Heine stammt, macht ihn so wertvoll.
Inseltexte sind eine beinahe magische Gattungsbezeichnung für einen Inhalt, der vielleicht zwischen Insel der Seligen und Mullinsel aufgestellt ist.
Ein guter Titel wird unumstößlich wahr, wenn er sich an physikalische Grundgesetze hält. 8 Minuten und 19 Sekunden braucht das Licht, um von der Sonne auf die Erde zu gelangen, wir sind also mit jedem Sonnenstrahl dieser Zeitangabe ausgesetzt.
Der Tod kommt ja landläufig gesehen von selbst, wenn es plötzlich Vermittler gibt, die den Tod bringen, wird die Sache unheimlich und gefährlich.
Selbst bei noch so großer Aufklärung bleibt immer noch ein Resträtsel, das unter anderem als Phantom dargestellt wird. Obwohl jedes Leben mit dem Tod endet, steckt hinter jedem Abgang eines Menschen ein Killer-Phantom, das mehr oder weniger logisch agiert.
Wie die Gegenwart so tickt lässt sich zwischendurch an Erzählungen ablesen, die auf der Höhe der Zeit mit allen Mitteln der Fiktions-Technik Stoff aus den Nischen des Daseins holen.
Mit Meistererzählungen wird meist ein Meister geehrt, der für eine Werkausgabe noch nicht tot genug ist, beim Publikum aber bereits das Gütesiegel „zeitlos“ erworben hat.
Ein Lese-Abenteuer ist es allemal, einem Klassiker beim Versickern im Sand des Vergessen-Werdens zuzuschauen, wodurch er noch einmal auf Hochglanz poliert wird.
Immer wieder machen sich in der Malerei Sequenzen selbständig und werden zur Literatur. Aus Bildbeschreibungen, Paint-Journalen oder Katalogvorgaben nehmen zwischendurch Texte Reißaus und flüchten in einen eigenen Erzählband, der dann vielleicht „Bunte Geschichten“ heißt.