Alexander Kluge, Zirkus / Kommentar
Ein Künstler wird, solange er aktiv in der Kunst tätig ist, seine Biographie mit jedem Kunstwerk nachjustieren, wenn nicht gar neu schreiben, weil ja so viel Stoff da ist.
Alexander Kluge ist in mehreren Sparten unterwegs, seine Kunst ist es vielleicht, dass er zwischen den Sparten eine eigene poly-artistische Arena aufgemacht hat. Bei einem Kluge-Statement handelt es sich meist um ein Konglomerat aus Film, Bild, Text und Biographie. Seine Fans sind jedes Jahr überrascht, wie er Kunstwerk und Leben in permanenter Reprise neu gestaltet. Heuer hat er als dramaturgisches Leitmotiv den Zirkus gewählt, der ihn schon seit Kindertagen begleitet. Was um diesen Schlüsselbergriff herum geschieht, wird trocken Kommentar genannt.
„Zunächst wird in diesem einleitenden Beitrag die Frage nach dem historischen Ort der Französischen Revolution diskutiert werden. Wann und wo hat sie stattgefunden und welche Ereignisse gehören zur Revolution? Wie ist ihr Verhältnis zur Gegenwart und ist sie ein weltgeschichtliches oder ein europäisches Ereignis?“ (S. 10)
„Das postkoloniale Denken versucht zu beweisen, dass die Vernichtung des europäischen Judentums ein Genozid wie jeder andere war, nämlich ein Töten aus konkreten praktischen Überlegungen. Daher versuchen die postkolonialen Theoretiker möglichst oft die Worte »Kolonialismus« oder »Imperialismus« zu verwenden, wenn sie das Schicksal der Juden Europas beschreiben …“ (S. 23)
Literatur ist ein Material, das je nach Konsistenz gewisser Formen bedarf, um es zu transportieren oder archivieren. Neben den klassischen Erscheinungsformen wie Roman, Gedicht oder Essay gibt es noch etwas, was sich in keiner Form fassen lässt. Augenzwinkernd könnte man vom „Nichteingezwängten“ reden, also einem Text, der für alle Formangebote zu groß oder zu klein ist.
„Die Reise ins anfängliche philosophische Denken ist deshalb so faszinierend, weil sie uns im Prozess der Aneignung auf die eigenen Anfänge zurückführt. Nirgendwo sonst – scheint mir – sind wir so sehr auf die Gründe zurückgeworfen, auf die alles Denken, auch unser eigenes Denken aufbaut, wie in dieser Rückbesinnung auf die Anfänge.“ (S. 9)
„Dieses Buch handelt vom Leben auf unserem Planeten, seiner Evolution und davon, wie sich unsere Ansichten dazu gewandelt haben. Wenn ich ihm einen Untertitel geben sollte, dann wäre es die Forschung, und zwar insbesondere die naturwissenschaftliche Forschung, mit ihren zahlreichen Wendemanövern und festen Regeln, die sie voranbringen oder hemmen können.“ (S. 9)
„Auch wenn solche antisemitischen und plumpen Angriffe auf die Singularität des Holocaust mittlerweile nicht mehr ganz so offen vorgetragen werden, hat in den vergangenen Jahren mit dem Siegeszug der Postkolonialen Studien eine weiche, aber nicht weniger problematische Form der Relativierung an den Universitäten und in den Feuilletons Einzug erhalten. Vertreter des Postkolonialismus sehen zwischen den Gräueltaten des deutschen bzw. europäischen Kolonialismus höchstens noch graduelle Unterschiede zum Holocaust und zeichnen eine fast direkte Linie von kolonialen Verbrechen nach Auschwitz.“ (S. 14)
„Die chinesischen Kommunisten haben die Formel geprägt: Der Sozialismus chinesischer Prägung. Auf den folgenden Seiten soll der Sozialismus chinesischer Prägung für Nichtchinesen verständlich werden, China und sein origineller Kommunismus für Anfänger sozusagen, für Leserinnen und Leser, die nicht sinologisch vorgebildet sein müssen.“ (S. 9)
„Dieses Buch handelt weder von der griechischen Antike noch vom Alphabet, und es auch kein historischer Essay, sondern gewissermaßen eine Erzählung, die von einer Erfindung handelt: von der größten der Welt. Gewissermaßen, weil sie zwar einen Anfang hat und von einer abenteuerlichen Reise um die Welt handelt, ihr Ende aber erst noch geschrieben werden muss.“ (S. 9)
Wenn es um die Wahrheit geht, können Handbücher durchaus dünn ausfallen. Im Gegenteil, je umfangreicher die Absätze bei der Darstellung einer vermeintlichen Wahrheit ausfallen, umso verdächtiger erscheinen sie jemandem, der vielleicht Ludwig Wittgensteins Tractat vor Augen hat und liest: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“