Tiroler Gegenwartsliteratur

Eva Maria Gintsberg, schichtgedichte

h.schoenauer - 16.02.2024

eva maria gintsberg, schichtgedichteNicht umsonst rufen Piloten, wenn sie abstürzen, noch eine Wortfügung aus ferner Kindheit in den Voice-Recorder, ehe Stille dem harten Aufschlag folgt. Mit zunehmendem Alter berichten Sprachanwender verschiedenster Klangfarben davon, dass ihnen in Augenblicken der Überraschung, der Freude und des Entsetzen Partikel aus der Kindheit in den Sinn kommen.

Eva Maria Gintsberg lassen diese archaischen Wortspuren der Kindheit keine Ruhe, wenn sie als Schauspielerin und Autorin den Wurzeln des Sprechens nachgeht. Ein elementares Erlebnis als Kind in einem Tiroler Nachkriegsdorf ist das Auftauchen einer neuen Sprache, wenn „die Frembden kommen“. Diese Gebrauchssprache des Tourismus überlagert allmählich die Mundart, die bislang alles abdecken konnte, was für Hausrat, Arbeit und Feiertag notwendig gewesen ist.

Andreas Maier, Die Heimat

h.schoenauer - 12.02.2024

andreas maier, die heimatVielleicht besteht die Heimat darin, dass ständig Menschen eingeheimatet werden. In der Tiroler Literatur jedenfalls werden ununterbrochen Schriftsteller eingemeindet, damit jene hohe Qualität gehalten werden kann, die von sogenannten Einheimischen allein nie getragen werden könnte.

Andreas Maier gilt gemeinhin als der Schriftsteller der Wetterau. Diese Gegend hinter Frankfurt am Main hat er literarisch hoffähig und international bekannt gemacht. Das Schreiben perfektioniert hat er freilich während seiner Aufenthalte in Südtirol, wo er mit dem internationalen Provinzroman „Klausen“ (2002) eine unübersehbare Markierung gesetzt hat. Seit diesem Roman gilt er als Geheim-Tiroler mit allen Heimatrechten.

Sabine Gruber, Die Dauer der Liebe

h.schoenauer - 26.01.2024

sabine gruber, die dauer der liebeFür Frauen, die sich ein Leben lang einen autonomen Status geleistet haben, kommen am Lebensabend meist zwei Schocks angetanzt. Zum einen ist es die Aussicht auf eine miese Pension, wenn nicht pausenlos im gewerkschaftlichen Sinn gearbeitet worden ist, zum anderen ist es das Nachlassgericht, wenn die Behörde feststellt, dass es ohne Trauschein kein Erbverhältnis mit dem verstorbenen Partner gibt.

Sabine Gruber setzt mit jenem Knalleffekt ein, der die „Dauer der Liebe“ zu beenden weiß: mit dem Tod des Partners. Der Protagonistin Renata wird nach ungestümem Anklopfen an der Wiener Wohnung durch die Polizei mitgeteilt, dass ein gewisser Konrad gestorben sei. Seine Familie wohnt in Innsbruck, und genaueres werde sie dort erfahren.

TALON 32 – Kulturgeschichte der Spielkarten und Kartenspiele

h.schoenauer - 17.01.2024

talon 32, Kulturgeschichte der Spielkarten und KartenspieleUnter einem Heuhaufen von digitalen Versprechungen, Stock-Bildern und Werbebotschaften ist ab und zu ein Schatz verborgen: Ein analoges Bilderbuch! – Es ist nicht für die Masse, sondern für Vereinsmitglieder und Freunde von regionalen Kleinodien gedacht.

Der Verlag Hofinger ist Spezialist beim Aufspüren dieser Kleinodien. In seinem Verlagsprogramm kommen regionale Künste und Kunsthandwerke zur Sprache, deren sich die wissenschaftliche Forschung nur selten annimmt. In einer vagen Beschreibung könnte man von einem gedruckten Regio-Wiki sprechen, das mehrmals im Jahr an die Öffentlichkeit gebracht wird.

Brigitte Knapp, Fischer am Berge

h.schoenauer - 10.01.2024

brigitte knapp, fischer am bergeIm Theater gibt es zwei Möglichkeiten, um eine Stück zu inszenieren. Entweder die Direktion hat ein Regiekonzept und sucht ein passendes Stück dazu, oder es hält bereits ein Stück in der Hand und sucht passendes Regiepersonal dazu.

Brigitte Knapp ist für ihren Erzählband „Fischer am Berge“ offensichtlich jenen Weg gegangen, wo ein vorhandenes Erzählkonzept hinterher mit (Frauen-)Schicksalen ausgestattet wird, bis genügend Plastizität vorhanden ist. Den Heldinnen wird nur soviel Schicksal zugestanden, als sie benötigen, um den Kommunikationsstrang offen zu halten. Dadurch wird letztlich ihre Sprachlosigkeit sichtbar, denn sie sind Platzhalter eher für eine Rolle und weniger für sich als Person.

Elisabeth R. Hager, Der tanzende Berg. Roman

h.schoenauer - 25.12.2023

elisabeth hager, der tanzende bergGleich zu Beginn sprengt sich eine Geburtstagsgesellschaft feierlich in einen Rausch, am Schluss, in der Stunde Null, stellt sich heraus, dass sich das ganze Land touristisch einwandfrei in die Luft gejagt hat. Sogar die felsenfesten Berge beginnen ob dieses Desasters zu tanzen und hinterlassen zerfallenes Gestein und zerbröselte Schicksale.

Elisabeth R. Hager gehört zu jener Handvoll Schriftstellerinnen aus Tirol, die einst zu Studienzwecken aus dem Land ausgestiegen sind, um sich einen frischen Blickwinkel auf die geschlossene Gesellschaft Tirols anzueignen. In der Blase des Gebirgslandes ist nämlich nun schon die dritte Generation vom Tourismus aufgezogen und wird unauffällig beäugt und niedergehalten, damit sie ja keine Geschäftsstörung bei den Nächtigungen auslöst.

Norbert Gstrein, Mehr als nur ein Fremder

h.schoenauer - 20.12.2023

norbert gstrein, mehr als nur ein fremderEin großkalibriger Autor muss im gegenwärtigen Literaturbetrieb drei Kanäle speisen: Einmal muss er regelmäßig Werke liefern, die einer letztlich sehr engen EU-Norm entsprechen. Zweitens muss er täglich seine Bereitschaft erklären, Preise, Stipendien und Uni-Auftritte zu absolvieren. Und drittens muss er am Branding der eigenen Biographie arbeiten, die im Idealfall zu einem Mythos ausgerollt werden kann.

Norbert Gstrein füttert alle diese Kanäle professionell, wobei das Professionelle vermutlich darin besteht, dass er alles mit stiller Ironie absolviert. So ergibt sich bei seinen Büchern immer eine gewisse Irritation, wie ernst das Gesagte nun gemeint ist, und ob es nicht letztlich gar eine Verhöhnung des Publikums ist, wenn der Autor läppisch das erfüllt, was sich eine von Germanisten angeführte Freundesschar vage von ihm erwartet.

Helmuth Schönauer, Anmache Abmache

andreas.markt-huter - 11.12.2023

helmuth schönauer, anmache abmache„Aushang in der Anlage einer Wohngenossenschaft: Achtung Bewohnende der Anlage. Bei Hitze besteht Gefahr zu verdursten. Trinken sie genug und kümmern sie sich um ihre Nachbarn, dass sie auch genug trinken. Jeder und jede soll jemanden aus der Nachbarschaft melden, der auf ihn aufpasst. Wer keine Nachbarin hat, dem wird eine zugeteilt!“ (S. 44)

Wer das Leben im öffentlichen Alltag für langweilig im Vergleich mit den reißerischen Meldungen der täglichen Nachrichten erachtet, sollte seinen Blick neu justieren, um das bemerkenswerte auch an scheinbar gewöhnlichen Dingen zu erahnen. „Anmache Abmache“ bietet eine Vorlage dafür, wie der Witz ganz speziell im Alltag entdeckt werden kann.

Christian Kössler, Ein Tor ist, wer im Tor isst

h.schoenauer - 04.10.2023

Christian Kössler: Ein Tor ist, wer im Tor isstDie Literatur hat ganz schön Mühe, mit dem Anwachsen der Mediensorten mitzuhalten und dabei vielleicht sogar mit eigenen Genres zu kontern. Allen Anstrengungen gemein ist freilich die Aufgabenstellung, die der Germanist Stefan Neuhaus der Gegenwartsliteratur zugeschrieben hat: „Literatur ist Vermittlung.“

Christian Kössler ist als Bibliothekar von Natur aus Literaturvermittler. Die Betreuung der Klientel besteht im Kern darin, Literatur aus dem Regal zu nehmen und zumindest für Augenblicke zum Leben zu erwecken. Für diese Inszenierungen von Buchinhalten gilt es mindestens so viele Register zu ziehen, wie beim Spiel einer Orgel. „Mit Hand und Fuß musst du vorlesen“, heißt es im Bonmot.

Carolina Schutti, Meeresbrise

h.schoenauer - 13.09.2023

carolina schutti, meeresbriseÜblicherweise erklären Erwachsene in infantiler Sprache den Kids, wo es langgeht. Sie verwenden dazu Bilderbücher und Kurzgeschichten und hoffen, dass die Kids während des Vorlesens eingeschlafen sind, ehe eine Lösung eines Problems zur Sprache kommt.

Carolina Schutti dreht im Roman „Meeresbrise“ den Erzählspieß um, und bringt die Erwachsenen ins Schwitzen, weil keine Lösung hergeht. Niemand schläft nämlich ein, wenn zwei Kids erzählen, was sie alles durchmachen müssen, bis sie formatiert und für den gesellschaftlichen Gebrach genormt sind.