Tiroler Gegenwartsliteratur

Konstantin Kaiser, Die Entfremdung ist ein Untermieter der Hoffnung

h.schoenauer - 19.04.2023

konstantin kaiser, die entfremdung ist ein untermieter der hoffnungTitel sagen mittlerweile weniger darüber aus, was in einem Buch drinsteht, als vielmehr was der Leserschaft zugemutet wird.

Konstantin Kaiser fordert die Lesenden schon vor dem Aufschlagen des Buches heraus: „Die Entfremdung ist ein Untermieter der Hoffnung.“ Die drei Hauptwörter kommen im Alltag zwar regelmäßig vor, in dieser Konstellation und gegenseitigen Hochachtung sind sie eine Spezialität des Autors, der scheinbar gewöhnliche Beobachtungen in jenes Licht setzt, das einen direkten Draht zum Hintersinn hat. Die Hoffnung scheint das große Gebäude zu sein, in das wir uns einmieten, damit wir heimisch werden. Mittlerweile ist das Gendern schon so allgegenwärtig, dass eine höhere Absicht vermutet werden darf, wenn die Entfremdung mit dem Untermieter korrespondiert.

Jörg Waldhauser, Rondine

h.schoenauer - 14.04.2023

jörg waldhauser, rondineVor Jahrzehnten, als die Heranwachsenden noch hirnlos in den Tag hineinstudiern konnten und anschließend einen Job ins Maul geflogen bekamen, machte in Tirol ein seltsames Gerücht die Runde: In Hall sitzt in der Nudelfabrik während der Nacht ein Philosoph an der Pforte und sinniert während seiner Aufsicht über den Sinn der Welt nach.

Beim „Nacht-Denker“ handelt es sich um Jörg Waldhauser, der im aktuellen Jahrhundert durchaus anerkannt seine Gedankenrunden durch diverse Veranstaltungen dreht und stets ein aufgewühltes Gefühl bei den Angetörnten hinterlässt. Auch wenn man den Gedanken oft nicht nachfolgen oder gar zustimmen kann, so bleibt doch ein zarter Rüttler im Gedächtnis, wie wenn man einen Weidezaun (heute Wolfsmanagement) berührt hätte.
Diese Einschätzung zu Lebzeiten berücksichtigt jenen Teil der Literatur Jörg Waldhausers, die dieser als eine Art „philosophische Performance“ zur Anwendung brachte. Erst nach seinem Tod kamen die Schriften, Bilder und Materialien zum Vorschein, die als Nachlass seit 2019 im Brenner-Archiv sondiert werden.

Laura Weidacher, Inselland

h.schoenauer - 08.04.2023

laura weidacher, insellandWas für eine Verheißung! Inselland – ein doppeltes Glücksversprechen, wenn die lyrische Seele sich auf eine Insel zurückzieht und gleichzeitig über weites Land schwebt.

Laura Weidacher steckt schon im ersten Gedicht den Claim ab, auf dem sich später das lyrische Ich bewähren wird im Sturm, der die heftige Witterung vor sich hertreibt, um Platz zu machen für die neuen Jahreszeiten, die er im Schlepptau hat.

„Inselland // Das Land ist eine Insel / umspült von Bäumen und Bergen / die Quais befestigt mit Stahl und Gold // Vierflössler, ungeschuppt / treiben die Bewohner am Strand / wasserlos reibt sich die Haut am Goldgrund // Tot ruht der Reichtum tief in den Tresoren / und die Trutzburg taub für das Brausen / des Weltwinds von Süden her“ (9)

C. H. Huber, Sagtest du Liebe

h.schoenauer - 29.03.2023

c. h. huber, sagtest du liebeEine Liebesgeschichte überlebt die ausgelösten Emotionen nur, wenn sie sich rechtzeitig auf die rettende Liebesinsel „Ironie“ rettet. Und einmal dort gelandet, lässt sich neben der Liebe auch gleich der Tod wunderbar leicht erzählen.

C. H. Huber geht die Sache in forscher Innenschau an. „Sagtest du Liebe“ lässt sich schon im Titel als Vorwurf, Enttäuschung oder Häme lesen. Alle diese Leseweisen spielen eine Rolle, wenn die Protagonistin Paula ihren Liebeskrimskrams aufräumt.

Den Großteil des Romans sitzt Paula als Ich-Erzählerin im immer reifer werdenden Körper gefangen und lässt sich beinahe apathisch durch die letzten Jahrzehnte schleudern, während sie vor der Trommel sitzt und der Waschmaschine zuschaut.

Robert Prosser, Verschwinden in Lawinen

h.schoenauer - 20.03.2023

robert prosser, verschwinden in lawinenWie kaum ein anderer Wirtschaftszweig ist der Tourismus davon abhängig, dass er auch von jenen mitgetragen wird, die ihm am liebsten aus dem Weg gehen. Ähnlich dem Sozialismus in der DDR ist der Tourismus in den Alpen eine Lebensform, die mit „IM“s im Dorfleben überwacht und eingefordert wird.

Robert Prosser ist in einem innigen Alpendorf groß geworden, seine Heimatgemeinde trägt sogar das Label „Alp“ im Ortsnamen. Wie viele Intellektuelle und Schriftsteller ist er früh von zu Hause aufgebrochen, um jenen Teil der Welt zu erkunden, der im Tourismus nicht vorkommt. Legendär sind seine Romane über den Kaukasus, den er als Abrundung zu Geschichten am Schwarzen Meer, mehrfach erkundet hat. Wegen der Kriege, die in diesen Ländern oft heimlich aufbrechen, wurde seine literarische Tätigkeit manchmal mit den Kriegsreportagen Hemingways verglichen, der ja seine Helden in amorphen Kriegen auftreten lässt.

Ronald Weinberger, Irrlichternde Gedichte

h.schoenauer - 05.03.2023

ronald weinberger, irrlichternde gedichteDer wissenschaftlichste Witz aller Zeiten geht in etwa so: Ein Witz kommt auf die Bühne und erklärt, dass er ein Witz sei.

Ronald Weinberger reizt mit seinem Lyrik-Potpourri „Irrlichternden Gedichte“ jene Grenze aus, die zwischen Humor und Wissenschaft, Witz und Traktat liegt. Dabei tut sich ein unerwartetes Problem auf: Wächst der Humor mit dem Wissen mit? Oder trennen sich die beiden während des Gedichtes, wenn es ihnen zu viel wird?

Willi Giuliani, Ein Innsbrucker Western

h.schoenauer - 23.12.2022

willi giuliani, ein innsbrucker westernJe globalisierter im Netz die Literatur auftritt, man spricht ja von Weltliteratur, umso punktgenauer muss sich darin die Lokalliteratur bewähren. Ein aufregendes „Lokalprogramm“ liefert dabei die Innsbrucker Verlagsbuchhandlung Wagner’sche, die als eine der ältesten der Welt schon alle möglichen Literaturformen erlebt hat. In der Serie „Erinnerungen an Innsbruck“ sind mittlerweile gut zwanzig Bände über Stadtteile, Berufe und besondere Schicksale erschienen. Umgerechnet auf die Bewohner des jeweiligen Themas erreicht diese Serie grandiose Vertriebszahlen.

Willi Giuliani beackert für das Regal „Erinnerungen an Innsbruck“ den Stadtteil Höttinger Au, der bis in die 1940er Jahre Sumpf, Brache und aufgelassene kaiserliche Jagd gewesen ist. Der Stadtteil wird ähnlich entwickelt wie der sogenannte Wilde Westen, zumindest was Tiere und Pflanzen betrifft, wird dabei ähnlich brutal vorgegangen wie beim Feldzug amerikanischer Siedler in Richtung El Dorado. Auf das Gold umgerechnet wäre im konkreten Fall das verheißene Paradies der Innsbrucker Flughafen, auf dem ja auch tatsächlich so manches touristische Nugget geschürft wird.

Andreas Pavlic, Die Erinnerten

h.schoenauer - 14.12.2022

andreas pavlic, die erinnertenWahrscheinlich ist Dollfuß einfach zu klein gewesen, als dass sich die Literatur mit ihm beschäftigen könnte. In der Österreichischen Literaturszene rätselt man schon seit Jahrzehnten, warum der eine Österreicher mit Schnauzer ständig Thema in Aufarbeitungsromanen ist, während man den kleinen katholischen Uniformträger, der das Land in eine formidable Diktatur geführt hat, jeweils elegant thematisch umschifft wird.

Andreas Pavlic liefert mit seinen „Erinnerten“ einen höchst notwendigen Vorstoß, der die zwei Haupteigenschaften eines historischen Romans mustergültig auf den Lesetisch legt. Einmal ist es die Themenwahl, die jeden historischen Roman elementar bewegt, und zum anderen der Erzählstandpunkt mit der Fragestellung: Wie kann ich etwas scheinbar Abgeschlossenes erzählen, dass es offen wird für die Gegenwart?

Friederike Gösweiner, Regenbogenweiß

h.schoenauer - 30.11.2022

friederike gösweiner, regenbogenweissSeit allenthalben sogenannte Trauerratgeber in Schrift und Therapie den Markt überschwemmen, muss man sich in der Literatur einen Ruck geben, um sich auf einen Roman einzulassen, in dem es um die Veränderung des Hinterbliebenen-Lebens durch den Tod des Vorausgängers geht.

Friederike Gösweiner verknüpft die Sinnsuche ihrer Helden anhand jenes Knotens, der durch einen plötzlichen Herztod des Vaters auftritt. Die Kunst des Erzählens besteht bekanntlich darin, die Leser bei Neugierde zu halten, und weniger, eine These abzuarbeiten. Ein erster Blick auf das Figurenset von „Regenbogenweiß“ bremst freilich ein wenig die Lust, sich ungeniert auf den Psycho-Roman einzulassen.

Barbara Tilg, Weltachse

h.schoenauer - 21.11.2022

barbara tilg, weltachseWenn jedem Menschen eine eigene Welt innewohnt, müsste man mit diesen Welten kommunizieren können, indem man sich ihre Weltachsen unter die Lupe nimmt.

Barbara Tilg stellt in ihren fünf Erzählungen ein paar dieser „Weltachsen“ vor, die teils sichtbar aus den Menschen hinausragen als Defekt, teils unsichtbar erahnt werden müssen im geduldigen psychologischen Gespräch.