Gerard Malanga, Die Arkaden-Projektion, unvollendet

Im Idealfall ist Lyrik eine Projektion ohne Leinwand und Beamer, das Bild zerfällt, während es entsteht in unendliche Lichtteile.

Gerard Malanga, in der Hauptsache Fotograf und Filmemacher, stellt die Projektion in den Titel seiner Gedichte-Auswahl. Mit den Begriffen unvollendet und Arkaden ist auch gleich das Konzept dieser Lyrik festgeschrieben. Alle Zeilen, Abbrüche, Einschübe und Leerstellen entsprechen dem Aufbau eines Bildes, das von einem unruhigen Auge abgetastet wird. Die Gedichte sind ausgebaut als Bauwerke der Erinnerung, ständig neu abgelichtet und nie fertig.

Ein durchgehendes Element ist die Hochbahn, die einerseits als Trasse durch die Stadt führt, andererseits auch als Vehikel in Intervallen durch die Szenerie rauscht. Im ersten Gedicht steht etwa ein Zwölfjähriger an dieser Hochbahn und kapiert im verschleierten Blick auf die Anlage, wie Erinnerung und Erwartung funktionieren, wie ein Foto nämlich, das ständig neu generiert werden muss.

Die Veränderungen im Blick schlagen letztlich auch auf die Stadt selbst durch, so verschwindet eines Tages der Nassau Loop. Immer wieder taucht dabei das Bild einer halb geöffneten Tür auf, dahinter sind Schatten zu vermuten oder zu erahnen, einmal ist es der Herbst Rimbauds, dann wieder eine Passage aus Walter Benjamins Werk, die vielleicht verloren geht, vielleicht aber nur aus dem Blick verschwunden ist.

Wer glaubt, dass ein Archiv vielleicht Rettung gegen das Verschwinden bedeuten könnte, wird enttäuscht, Gertrude Stein verschwindet samt ihrem Archiv, letztlich ist auch ein Archiv nichts anderes als ein Stück unvollendete Gedächtnisarchitektur.

Bemerkenswert verliert sich auch eine Spur zu Ernest Hemingway, der in sattem Regen auf seinen Zug wartet. Den Koffer mit Manuskripten hat er kurz abgestellt, da wird er ihm auch schon gestohlen. Dem Ruhm Hemingways hat dies keinen Abbruch getan, vielleicht weil gerade die richtigen, nämlich die unbedeutenden Schriften gestohlen worden sind. Diese werden vermutlich noch immer unentdeckt auf einem Dachboden dahin dösen, während mit Hemingway längst alles klar ist.

Kerouac verliert in seinem Gedicht einen navyblauen Mantel, von denen er aber noch mehrere als Ersatz hat.
Alle Vergangenheit ist Fiktion, heißt es schließlich in einem Burroughs-Gedicht, denn alles ist nur ein halbes Gedicht, von dem nie die zweite Hälfte existiert.

Gerard Malanga setzt mit diesen Projektions-Gedichten einer ganzen Generation ein Denkmal im Sinne eines Fotoalbums, das an einer Hochbahn entlang geknüpft ist bis in das tiefste Vergessen einer Stadt hinein.

Gerard Malanga, Die Arkaden-Projektion, unvollendet. Gedichte. Übersetzt von Ingrid und Reinhard Harbaum.
Göttingen: Altaquito Verlag 2003. 20 Seiten. EUR 5,70 ISBN 978-3-923588-57-2

 

Weiterführende Links:
Altaquito Verlag: Gerard Malanga, Die Arkaden-Projektion, unvollendet
Wikipedia: Gerard Malanga

 

Helmuth Schönauer 28/07/12

Bibliographie

AutorIn

Gerard Malenge

Buchtitel

Die Arkaden-Projektion, unvollendet

Originaltitel

Arkadien-Projektion

Erscheinungsort

Göttingen

Erscheinungsjahr

2003

Verlag

Altaquito Verlag

Übersetzung

Ingrid Harbaum / Reinhard Harbaum

Seitenzahl

20

Preis in EUR

5,70

ISBN

978-3-923588-57-2

Kurzbiographie AutorIn

Gerard Malanga, geb. 1943 in Bronxdale, lebt in New York.

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