Marko Dinic, namen : pfade

Das weite Feld der Lyrik wird oft mit einem Meer verglichen, auf dem die Wellen jeweils gleichmäßig und dennoch individuell auf und ab tanzen. Gute Seeleute erkennen einzelne Wellen oft nach Jahren wieder, weil sie ihnen einst einen persönlichen Namen gegeben haben.

Ähnlich verhält es sich mit den Gedichten, als Leser erkennt man sie oft nach langer Zeit wieder, auch wenn sie sich in der großen Menge versteckt gehalten haben.

Marko Dinics Gedichte sind vielleicht deshalb einmalig, weil er wie auf einer Spielmaschine verschiedene Begriffe kreisen lässt, ehe sie mit einem Ruck angehalten eigenartige Begriffe ergeben:

kirschen : gebete (5) / heimat : pfade (35) / namens : splitter (67).


In diese semantischen Zufallsbegriffe sind dann jeweils Gedichte eingeknüpft, die oft einen Arm auslegen, der in Richtung jüngerer Vergangenheit zielt.

tage // das geborstene licht / zerstreut zwischen / efeu und tagtraum. // kälte strömt aus offenen türen: // und wieder ein weiteres wort / an den süden verfüttert, / wo gott einst selbst seinen / namen zu grabe trug. // unter der achsel: / das eingewachsene haar, / das wühlende geschwür / kaum verheilter erdenalter. // es lockt von weitem / ein verstreuter blick. // das beschwerliche flackern der kerze / reinigt vergeudete tage. (13)

Neben der Zeitachse, die tatsächlich an manchen Tagen das Haar nach innen wachsen lässt, ist es vor allem die Orts-Komponente, die uns die noch immer brennende Wund-Geschichte des Balkans vor Augen führt.

beograd // […] / mein name bleibt reine vermutung, / während ich den smog all dieser / perfidien der jahrhunderte einatme. // am bahnhof dann die aufschrift auf der scherbe, / die im innern meines auges nistet: // „der zug fährt pünktlich ab vom bahnsteig zwei. / karten sind, wie immer, ausverkauft. (41)

Begleitet werden diese Texte von so genannten Transferlithographien, das sind Bildstrukturen, die einen Text begleiten, ihn aber auch transformieren und so in neuer Form zum Vorschein bringen. Manchmal glaubt man ein Stück Landschaft zu erkennen, dann wieder eine Wetterkonstellation, einmal scheint eine Figur von der Zukunft, in welche sie blickt, aufgefressen zu werden, oder aber ein fremdes Ufer funkelt jenseitig über einem Lichtstrom herüber.

Diese mehrdeutigen Transfer-Ereignisse verdeutlichen oft das nebenan gedruckte Gedicht, manchmal lösen sie den Text auf, dann sind sie wieder Aha-Erlebnisse wie bei einer Gebrauchsanweisung, die von Nutzen ist. Das Auge schwingt zwischen Text und Bild hin und her und verschafft dem Leser eine Transfer-Stimmung der dritten Dimension.

– Eine kompakte Kombination zwischen Gedicht und Lithographie.

Marko Dinic, namen : pfade. Gedichte. Mit Transferlithographien von Petra Polli.
Salzburg: edition tandem 2012. 96 Seiten. EUR 17,80. ISBN 978-3-902606-76-1.

 

Weiterführender Link:
Edition Tandem: Lyrik

 

Helmuth Schönauer, 12-04-2012

Bibliographie

AutorIn

Marko Dinic

Buchtitel

namen : pfade

Erscheinungsort

Salzburg

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Edition Tandem

Illustration

Petra Polli

Seitenzahl

96

Preis in EUR

17,80

ISBN

978-3-902606-76-1

Kurzbiographie AutorIn

Marko Dinic, geb. 1988 in Wien, lebt in Salzburg.<br />Petra Polli, geb. in Bozen, lebt in Leipzig und Salzburg.

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