Tor Ulven, Dunkelheit am Ende des Tunnels

Das Paradoxe ist oft so vage in der Selbstverständlichkeit versteckt, dass man es erst beim zweiten Hinsehen bemerkt. So gilt das Tunnelende, wenn man es von innen her anfährt, üblicherweise als hell, bei Tor Ulven hingegen geht die Finsternis des Tunnels fließend in die Dunkelheit seines Endes über.

Die elf Erzählungen handeln von diesem existentiellen „Tunnelblick“, der ausweglos in die Dunkelheit führt. Eine minimal ausgestattete Szenerie wird jäh von einem Beobachter aufgerissen, der eine Weile gegen seine Eindrücke kämpft und dann von diesen verschlungen wird.

Bereits in der ersten Geschichte „Ich schlafe“ kämpft eine alte Frau mit dem Geschehnis, das sie im gegenüberliegenden Cafe wahrnimmt. Im Rauch der Nacht-Zigaretten verqualmen die Figuren, die wohl schon seit Jahren Nächtens im Cafe sitzen. Die Frau wird zwangsweise zur Voyeurin, sie muss sich die Szenerie anschauen ob sie will oder nicht.

Ich kann nicht schlafen. Aber sie schläft. Kaum Geräusche zu hören. Jemand betätigt die Klospülung. Das taugt nichts. Wenn ich die dort unten doch nur reden hören könnte. Auch wenn es nicht so aussieht, als würden sie reden. 20)

Ähnlich gerät ein „Hysteriker“ in den Strudel der Ereignisse. Gegen seinen Willen interpretiert er die Geschehnisse jeweils falsch und regt sich zudem noch grundlos auf.

Ich sitze nur hier vor dem Fernseher und sehe fern, ohne etwas zu sehen, aber es scheint, als wäre der Auftragskiller, der sich geweigert hatte, den Auftrag anzunehmen, selbst in dem weißen Auto auf dem Parkplatz hinter dem Kunstmuseum getötet worden, und als wollte der nervöse Mann, der soeben zur Telefonzelle geht, gerade die Polizei rufen. (31)

Eine andere Figur meditiert am Meer ausweglos über sich und die Welt. „In gewissen Situationen ist ein warmes Hirn wichtiger als ein warmes Herz.

[…] Oh, wäre ich bloß ein Koma im Wald ohne Erwachen.“(54)

Im Gefängnis tastet eine Figur seinen Auslauf ab und stößt dabei stets auf Widerstände und Hindernisse, immer nach rechts halten, heißt letztlich sein Ausweg.

In der Titel gebenden Erzählung „Dunkelheit am Ende des Tunnels implodiert schließlich ein Passagier an der Erotik, die eine ihm gegenübersitzende Frau in einem Nachtzug auslöst. Während der Zug rast, halten die Hormone ihren Kreislauf an.

Tor Ulvens Geschichten sind radikal eingeschmolzen auf das Wesentliche, die einzelnen Sätze haben sich ineinander gefressen und um den Helden entwickelt, der keinen Ausweg findet aus seiner eigenen Geschichte. Scheinbar kurze Spots der Wahrnehmung ziehen wie ein negativer Komet ein schwarzes Loch der Existenz hinter sich her. Die Helden sind schon verglüht und verklumpt, noch ehe die Geschichte begonnen hat. – Intensiv!

Tor Ulven, Dunkelheit am Ende des Tunnels. Geschichten. A. d. Norweg. von Bernhard Strobel. [Orig.: Vente og ikke se, 1994.]
Graz: Droschl 2012. 133 Seiten. EUR 19,-. ISBN 978-3-85420-793-1.

 

Weiterführende Links:
Droschl-Verlag: Tor Ulven, Dunkelheit am Ende des Tunnels
Wikipedia: Tor Ulven

 

Helmuth Schönauer, 30-01-2012

Bibliographie

AutorIn

Tor Ulven

Buchtitel

Dunkelheit am Ende des Tunnels

Originaltitel

Vente og ikke se

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Droschl-Verlag

Übersetzung

Bernhard Strobel

Seitenzahl

133

Preis in EUR

19,-

ISBN

978-3-85420-793-1

Kurzbiographie AutorIn

Tor Ulven, geb. 1953 in Oslo, setzte 1995 in Oslo seinem Leben ein Ende.

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